Samstag, April 20, 2024
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Stranding-Risiko und ESG-Transformation

Der Immobilienwirtschaft bleibt nicht mehr viel Zeit

Klimarisiken, zunehmende Regulierung, veränderte Nachfrage, Zinswende und steigende Energiekosten: Auf dem Immobilienmarkt häufen sich die Faktoren für eine sukzessive Neubewertung. Immobilienprojekte, die mit den zunehmenden Nachhaltigkeitsansprüchen nicht Schritt halten können, sind einem wachsenden Stranding-Risiko ausgesetzt. Der Wertverlust von Objekten kann nur durch massive Investitionen verhindert werden, die weit über die bisherigen Standards hinausgehen.

Die Immobilienbranche muss mehr machen und sich endlich ihrer Verantwortung stellen. Mit Blick auf den Umbau der gesamten Branche sehen wir fünf Bereiche, in denen besondere Kraftanstrengungen nötig sind, um die Zukunftsfähigkeit zu gewährleisten. 

Die Finanz- und Immobilienbranche muss die finanziellen Auswirkungen der Klimaziele stärker in den Blick nehmen.

Selbst der deutsche Niedrigstenergiestandard wird voraussichtlich vor 2040 stranden, wenn wir die Anforderungen an die Energieversorgung nicht strenger gestalten. Klimaschutz ist längst zum entscheidenden Hebel in der Bewertung von Immobilieninvestitionen geworden. Marktteilnehmer, die den physischen und transitorischen Risiken nicht mit intensiven Sanierungen am Bestand begegnen, müssen sich innerhalb weniger Jahre mit frühzeitiger klimatischer und wirtschaftlicher Überalterung auseinandersetzen.

Die Auswirkungen des Ukraine-Kriegs und der Energiepreisexplosion sind ein erster Vorgeschmack und zeigen, wie abhängig die meisten Gebäude und daraus folgend die Erträge von günstigen fossilen Brennstoffen sind.

Nur gezielt gelenktes institutionelles Kapital und mutige Innovationen ebnen den Weg für eine Transformation des Gebäudesektors.

Gefragt sind innovative Lösungen und Investitionen, die der Gesetzgebung einige Schritte voraus sind. Wer langfristig und damit an künftige Generationen denkt, der schafft nachhaltige Renditemöglichkeiten. Immobilieninvestments sind nur dann zukunftsfähig, wenn die Projekte sehr viel länger als 30 Jahre funktionsfähig sind und den Pariser Klimapfad einhalten. Langfristig orientierte Anleger suchen nach wertstabilen Anlagen – also nach Vermögenswerten, die den Klimawandel überstehen.

Laut einer Umfrage von JPMorgan bekunden rund zwei Drittel der Befragten Interesse an nachhaltigen Geldanlagen, die insbesondere wegen des langfristigen Vorteils von Immobilien den entscheidenden Unterschied ausmachen. Diese Investoren braucht der Markt jetzt, um anfängliche Mehrkosten für klimafreundliche Ansätze zu finanzieren.

Die ESG-Bereiche Environment, Social und Governance dürfen nicht getrennt voneinander betrachtet werden, sondern müssen einen Dreiklang bilden.

Die alleinige Fokussierung auf ökologische Gesichtspunkte in der Immobilienwirtschaft, die unter „E“ (Environment) zusammenfasst sind, greift zu kurz. Die ambitioniertesten Klimaziele können schnell zum sozialen Problem („S“, Social) werden, wenn die zu tragenden Mehrkosten das Verhältnis zwischen Eigentümern und Mietern ins Wanken bringen. Wenn Mieter etwa nach dem Einbau neuer Fenster eine Mieterhöhung erhalten, die sie in ökonomische Bedrängnis bringt, ist die Nachhaltigkeitsstrategie nicht zu Ende gedacht.

Ein sozialer Mietermix (familienfreundliche Grundrisse oder Kitas im Objekt oder in der Umgebung) oder der Schutz von besonders einkommensschwachen Menschen (erweiterter Kündigungsschutz) sind genauso wichtig für nachhaltige Investments wie ökologische Standards. Auch die Managementqualität („G“, Governance) und insbesondere die Transparenz über die vorher genannten Dimensionen müssen im Blick behalten werden. 

Der Verzicht auf Klimaschutz kostet mehr als seine Umsetzung. 

Statt auszurechnen, wie stark Klimaschutzmaßnahmen die unmittelbare Rendite schmälern, sollte der Fokus auf den finanziellen Folgen ihres Unterlassens gelegt werden (transitorische und physische Risiken). Die Kosten für notwendige Sanierungsmaßnahmen werden mit steigenden CO2-Kosten zukünftig weiter steigen und somit Cashflows von Immobilien und deren Bewertung beeinflussen. Laut einer im Scientific Reports veröffentlichten Studie haben sich die inflationsbereinigten Kosten zur Erreichung des 1,5-Grad-Zieles seit 1980 verdoppelt. Jedes nicht genutzte Jahr lässt die Kosten zur Emissionsreduzierung weiter steigen. 

Die konsequente Einbeziehung sämtlicher Lebenszykluskosten einer Immobilie in ihre Bewertung ist der Königsweg für nachhaltige Investments.

Nicht nur wegen der zunehmenden Bedeutung von Kreislaufwirtschaft und Cradle-to-Cradle-Ansätzen rückt der gesamte Lebenszyklus einer Immobilie zunehmend ins Blickfeld. Wer für die Zukunft denkt, muss mit den Mitteln der Zukunft operieren. Dazu zählen Kosten, die unmittelbaren Einfluss auf das Klima haben, etwa Energie- und Nachinvestitionskosten, die bei möglichst langfristiger Nutzung notwendig werden. Vereinfacht gesagt wird ein nachhaltig gebautes Gebäude bei höheren Initialkosten langfristig rentabler sein als ein herkömmliches Gebäude.

Der Einsatz von Werkzeugen wie Madaster, die im Gebäude verbaute Materialien analysieren, erfassen und einen digitalen Zwilling erstellen, helfen jene positiven Potenziale und Werte zu heben und zu berechnen, die sich hinter vermeintlichen Bauabfällen verstecken – Stichwort Urban Mining). Wie wichtig die Betrachtung von Immobilienwerten über den gesamten Lebenszyklus für Investoren und Umwelt sind, wird deutlich, wenn man bedenkt, dass die GEG-relevante Betriebsphase neben Herstellung, Errichtung und Entsorgung- bzw. Recyclingsphase nur einen kleinen Teil der gesamten Ökobilanz eines Gebäudes ausmacht.

Autor:

Ralph Andermann ist Geschäftsführer der Wealthcore Investment Management. Der Investmentmanager hat zwei dunkelgrüne Immobilienfonds mit ökologischer Ausrichtung nach Artikel 9 der EU-Offenlegungsverordnung initiiert, die ausschließlich in Wohnbauprojekte investieren.

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Bildquellen Wealthcore

Aussagen des Autors und des Interviewpartners geben nicht unbedingt die Meinung der Redaktion und des Verlags wieder

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