München, 05. Dez – Der Widerstand gegen virtuelle Hauptversammlungen deutscher Großkonzerne schrumpft. Der einflussreiche Stimmrechtsberater Institutional Shareholder Services (ISS) hat seine Empfehlung, im kommenden Jahr gegen die Einführung reiner Online-Aktionärstreffen zu stimmen, abgeschwächt. In der am Wochenende veröffentlichten überarbeiteten Fassung heißt es nun, ISS werde die geplanten Satzungsänderungen in jedem Einzelfall gesondert bewerten, je nachdem, wie die Unternehmen die Einführung der virtuellen HV begründeten und wie sie dabei die Beteiligung der Aktionäre gewährleisteten. Nach den Ratschlägen von ISS, einer Tochter der Deutschen Börse, richten sich vor allem zahlreiche US-Fonds.
„Gleichwohl bleiben hybride Hauptversammlungen derzeit das bevorzugte Modell, weil sie den Schutz der Aktionärsrechte mit den Vorzügen einer möglichen virtuellen Teilnahme verbinden“. erklärte ISS. Gegen reine Online-Hauptversammlungen gebe es bei Investoren weiterhin Bedenken. An hybriden Hauptversammlungen können Aktionäre vor Ort, aber auch über das Internet teilnehmen und abstimmen. Viele Unternehmen lehnen sie wegen der größeren Komplexität und der hohen Kosten ab.
Bisher hatte ISS empfohlen, für das hybride Modell und gegen reine Online-HV zu stimmen. Dagegen waren Lobbyorganisationen wie das Deutsche Aktieninstitut (DAI) und der Deutsche Investor-Relations-Verband DIRK Sturm gelaufen. Große deutsche Fondshäuser wie Union Investment und Deka haben sich dagegen für die Beibehaltung der Präsenz-Veranstaltungen ausgesprochen. Der kleinere ISS-Konkurrent Glass Lewis macht konkretere Vorgaben, unter welchen Bedingungen er virtuelle HVs für tragbar hält – etwa die Veröffentlichung aller Fragen und Antworten in einem Aktionärsportal.
Die Aktionäre der meisten börsennotierten Gesellschaften in Deutschland sind 2023 aufgerufen, den Weg für virtuelle Hauptversammlungen freizumachen. In der Corona-Pandemie waren sie eingeführt worden, um Ansteckungen zu verhindern. Viele Firmen haben dabei Gefallen daran gefunden – auch weil sie kostengünstiger, leichter kontrollierbar und kürzer sind als die traditionellen Aktionärstreffen in großen Hallen oder Hotels. Die Bundesregierung will sie ab 2024 weiterhin ermöglichen, wenn die Aktionäre zustimmen. Für Satzungsänderungen ist in der Regel eine Dreiviertel-Mehrheit vonnöten. Von Stimmrechtsberatern wie ISS und Glass Lewis kommt oft ein Viertel der Stimmen.
Im zu Ende gehenden Jahr war von den deutschen Dax-Konzernen nur die Deutsche Telekom zum Präsenz-Format zurückgekehrt. Die ersten Abstimmungen über das künftige Format dürften im Februar anstehen, wenn Firmen wie Siemens und Thyssenkrupp zu ihren Hauptversammlungen einladen. Die offiziellen Einladungen dürften in den nächsten Wochen veröffentlicht werden.
Stimmrechtsberater ISS lenkt im Streit um virtuelle HV ein
Quelle: Reuters
Symbolfoto: Bild von 정훈 김 auf Pixabay
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