Washington/Moskau/Berlin, 12. Feb (Reuters) – Angesichts wachsender Sorgen vor einer militärischen Eskalation des Ukraine-Konflikts laufen die Bemühungen um eine diplomatische Lösung auf Hochtouren. US-Präsident Joe Biden und Russlands Staatschef Wladimir Putin wollten noch am Samstag miteinander telefonieren. Der russischen Nachrichtenagentur Tass zufolge erwartet Putin am Samstag auch ein Gespräch mit Frankreichs Präsident Emmanuel Macron.
Zuvor tauschten sich am Samstag bereits die Verteidigungsminister der USA und Russlands, Lloyd Austin und Sergej Schoigu, nach Angaben beider Seiten miteinander aus. Unterdessen verschärften sich die Spannungen. Während der russische Außenminister Sergej Lawrow in einem Telefonat mit seinem US-Kollegen Antony Blinken dem Westen schwere Vorwürfe machte, warnten westliche Staaten ihre Bürger in der Ukraine vor einer zunehmenden Kriegsgefahr.
So schlossen sich unter anderem Deutschland, Italien, die Niederlande und Schweden den Reisewarnungen an, die bereits die USA und Großbritannien für ihre Bürger ausgesprochen hatten. „Vor Reisen in die Ukraine wird gewarnt“, teilte das Auswärtige Amt in Berlin am Samstag mit. „Eine militärische Auseinandersetzung ist nicht auszuschließen.“ Das für die Ostukraine zuständige Generalkonsulat in der Stadt Dnipro werde vorübergehend ins westukrainsche Lwiw verlegt.
Dnipro liegt in der Nähe der so genannten Kontaktlinie, an der sich die ukrainische Armee und prorussische Separatisten in den Regionen um Donezk und Luhansk seit Jahren gegenüberstehen. „Ich habe entschieden, die bereits ergriffenen Maßnahmen zur Krisenvorsorge noch einmal zu verstärken“, erklärte Bundesaußenministerin Annalena Baerbock. Bundeskanzler Olaf Scholz reist am Montag nach Kiew und am Dienstag nach Moskau, wo er mit Putin zusammentrifft.
Die USA kündigten den Abzug eines Großteils ihrer Botschaftsmitarbeiter aus der ukrainischen Hauptstadt an. Nach Angaben aus US-Behördenkreisen werden auch rund 150 Militär-Ausbilder aus der Ukraine abgezogen. Die Regierung in Washington hatte am Freitag die Einschätzung geäußert, ein Angriff Russlands auf die Ukraine könne unmittelbar bevorstehen. Russland wies dies scharf zurück.
Außenminister Lawrow sprach am Samstag von einer „Propagandakampagne“, die die USA und ihre Verbündeten gegen Russland führten. Lawrow habe Blinken in dem gemeinsamen Telefonat außerdem gesagt, die USA und die Nato hätten Vorschläge Russlands ignoriert. Russland hatte vom Westen Sicherheitsgarantien gefordert, unter anderem einen dauerhaften Verzicht auf eine Aufnahme der Ukraine in die Nato. Die nordatlantische Allianz hatte dies zurückgewiesen.
Russland hat an der Grenze zur Ukraine mehr als 100.000 Soldaten zusammengezogen. Zudem hat das russische Militär Manöver mit dem Verbündeten Belarus nördlich der Ukraine sowie im Schwarzen Meer südlich des Landes begonnen. Russland hatte die Halbinsel Krim 2014 von der Ukraine annektiert und unterstützt die Separatisten im Osten des Landes. Die USA halten einen Angriff Russlands auf die Ukraine jederzeit für möglich. Bidens Sicherheitsberater Jake Sullivan hatte am Freitag gesagt, die Regierung in Moskau habe genug Streitkräfte für einen größeren Militärschlag mobilisiert.
US-AUSSENMINISTER DROHT ERNEUT MIT SANKTIONEN
Blinken sagte am Samstag auf einer Reise in der Pazifik-Region, die USA und ihre Verbündeten seien für alle Szenarien vorbereitet. Was Putin vorhabe, sei ihm unklar. „Ich hoffe weiter, dass er nicht den Pfad erneuter Aggressionen wählt, sondern den Pfad der Diplomatie und des Dialogs“, sagte der US-Außenminister. „Wenn Präsident Putin sich für militärische Maßnahmen entscheidet, werden wir in Abstimmung mit Verbündeten und Partnern in aller Welt rasch harte Sanktionen verhängen.“ Die USA würden die Fähigkeit der Ukraine zur Selbstverteidigung sowie ihre Nato-Partner in Osteuropa stärken. Nach Angaben von US-Regierungsvertretern und der polnischen Regierung stocken die USA ihre Truppen in dem Nato-Partnerland Polen um 3000 weitere Soldaten auf. Einen eigenen Kampfeinsatz in der Ukraine haben die USA ausgeschlossen.
Biden hatte sich am Freitag in einem Krisengespräch mit den Staats- und Regierungschefs mehrerer Verbündeter ausgetauscht, darunter Scholz und Macron sowie die Spitzen von Nato und EU. Wie das US-Präsidialamt mitteilte, herrschte bei der Frage nach Sanktionen gegen Russland im Falle eines Angriffs auf die Ukraine Einigkeit. Die Verbündeten seien bereit, Russland mit massiven Konsequenzen und hohen wirtschaftlichen Kosten zu belegen.
Sorge vor Eskalation des Ukraine-Konflikts – Biden spricht mit Putin
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