Sonntag, Dezember 22, 2024
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Russlands Erfolge verändern die Debatte über Kriegsziele in Ukraine

Berlin, 27. Mai (Reuters) – Innerhalb weniger Tage hat der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj zweimal angedeutet, dass man sich auf Gespräche mit dem russischen Präsidenten Wladimir Putin einstellen müsse. Dies hat die Debatte befeuert, was eigentlich die Voraussetzung für Verhandlungen zu einer Beendigung des Krieges in der Ukraine sein soll – und was aus ukrainischer und westlicher Sicht dabei die Ziele sind. Ein Rückzug der russischen Truppen auf den Stand vor der Invasion am 24. Februar? Ein vollständiger Abzug russischer Soldaten auch von der 2014 annektierten Krim? Oder ganz andere Ziele wie etwa eine so starke Schwächung Russlands, um künftige Angriffe auf Nato-Gebiet unmöglich zu machen? 

Die Unklarheit dürfte auch hinter dem Schlagabtausch am Freitag zwischen Kiew und Moskau stehen, welche Seite nun eigentlich die weltweit geforderten Friedensgespräche verhindert. Denn laut Verteidigungsminister Sergej Schoigu ist ein Kriegsziel der Russen die Kontrolle über den gesamten Donbass – was derzeit nicht oder noch nicht der Fall ist. Nach Ansicht von EU-Diplomaten war das ukrainische Interesse an Gesprächen in den vergangenen Wochen wiederum angesichts eigener militärischer Fortschritte gegen die Invasionsarmee aus dem Nachbarland eher gesunken. 

Das könnte sich wegen massiver russischer Angriffe im Osten aber wieder ändern – denn weiteres russisches Vorrücken könnte die ukrainische Position bei Verhandlungen schwächen. Verkompliziert wird die Debatte durch das Misstrauen, dass am Ende westliche Regierung wie etwa Deutschland Selenskyj zu einem Kompromiss drängen könnten.

Die Bundesregierung weist dies jedoch energisch zurück. „Weder die Ukraine noch wir werden einen Diktatfrieden akzeptieren“, wiederholt Kanzler Olaf Scholz fast täglich. Am Freitag warnte er Putin vor Illusionen: „Frieden entsteht nicht durch gewaltsames Unterwerfen. Gerechtigkeit ist die Voraussetzung für den Frieden“, sagte Scholz auf dem Katholikentag. Die Aussage, dass „Putin mit seinem zynischen, menschenverachtenden Krieg nicht durchkommen darf“ schließt aus, dass Russland irgendein nach dem 24. Februar erobertes Gebiet behalten darf. Ansonsten würde er für den gewaltsamen Bruch der Friedensordnung noch belohnt. 

Eine solche Haltung erfordert einen langen Atem bei den verhängten Sanktionen. Auf seiner Afrika-Reise betonte Scholz gegenüber seinen Gesprächspartnern, dass die 2014 verhängten Sanktionen wegen der Annexion der ukrainischen Halbinsel Krim immer noch in Kraft seien – bis Russland seine Position verändere. „Wir werden die Ukraine auf keinen Fall drängen, nachzugeben. Es geht um ihr Territorium, sie allein entscheiden“, heißt es in Regierungskreisen. Auf ukrainischer Seite wird beklagt, dass ausbleibende Waffenlieferungen aus dem Westen aber auch ohne diplomatische Intervention die militärische Lage und damit die Ausgangslage für Verhandlungen beeinflussen würden. 

Auch bei der Wortwahl über Kriegsziele gibt es im Westen Unterschiede. Stefan Meister, Russland-Experte der Deutschen Gesellschaft für Auswärtige Politik (DGAP), sah schon vor Wochen ein weiterreichendes Ziel der USA darin, die Ukraine mittelfristig so zu bewaffnen, dass sie dauerhaft Widerstand leisten kann. „Wir wollen Russland in einem Maße geschwächt sehen, dass es dem Land unmöglich macht, zu tun, was es in der Ukraine mit der Invasion getan hat“, hatte US-Verteidigungsminister Lloyd Austin gesagt – worüber man in der US-Regierung nach Angaben von EU-Diplomaten nicht begeistert gewesen sein soll. Außenministerin Annalena Baerbock hatte gesagt: „Durch die Sanktionen sorgen wir dafür, dass ein weiteres militärisches Vorgehen in anderen Regionen aus russischer Kraft allein in den nächsten Jahren nicht möglich ist.“ 

GEHT ES UM GEWINNEN ODER VERLIEREN? 

Gleichzeitig bleibt Kanzler Scholz bei einer vorsichtigen Wortwahl. Russland dürfe den Krieg nicht gewinnen und werde es auch nicht, sagte er am Donnerstag auf dem Weltwirtschaftsforum in Davos erneut. Er orientiert sich dabei an der Wortwahl von US-Präsident Joe Biden. Doch EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen und der britischen Premierminister Boris Johnson haben schon von einem nötigen „Sieg“ der Ukraine gesprochen – ohne allerdings zu sagen, worin der „Sieg“ genau bestehen soll. Im Kanzleramt wird warnend darauf verwiesen, dass man bei allen russischen Verlusten nie vergessen dürfe, dass Russland eine atomare Supermacht mit großen militärischen Kapazitäten sei. 

Selenskyj wiederum wirkt in der Debatte flexibeler als andere Vertreter der ukrainischen Führung – die eben auch kein Monolith ist. Der Präsident hatte schon früher davon gesprochen, dass es „das Minimum“ sei, die Gebiete mit dem Stand vom 23. Februar, also vor dem russischen Einmarsch wieder zu bekommen – dies galt als Hinweis für einen möglichen Kompromiss, weil es etwa die Halbinsel Krim ausklammern würde.

Russlands Erfolge verändern die Debatte über Kriegsziele in Ukraine

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