Kiew, 21. Sep (Reuters) – Russland hat die erste Teilmobilmachung des Landes seit dem Zweiten Weltkrieg angeordnet. „Wenn die territoriale Integrität unseres Landes bedroht ist, werden wir natürlich alle uns zur Verfügung stehenden Mittel einsetzen, um Russland und unser Volk zu schützen“, sagte Präsident Wladimir Putin am Mittwoch in einer im Fernsehen übertragenen Rede. „Das ist kein Bluff.“ Dem Westen warf er nukleare Erpressung vor. Russland habe aber viele Waffen, um zu antworten, sagte Putin. Verteidigungsminister Sergej Schoigu sprach von 300.000 Reservisten, die eingezogen werden sollen. Westliche Regierungen verurteilten die Teilmobilmachung als Eskalation, bezeichneten sie aber gleichzeitig als Zeichen der Schwäche.
Mit der Teilmobilmachung und der Entsendung weiterer Soldaten will Russland aus der Defensive kommen, in die es im Zuge der ukrainischen Gegenoffensive im Süden und Osten der Ukraine gekommen war. Russische Truppen waren am 24. Februar in das Nachbarland einmarschiert und hatten bis zu 20 Prozent der Fläche der Ukraine besetzt. Seit einigen Tagen erobern ukrainische Truppen aber immer mehr Gebiete zurück. Die von Moskau militärisch unterstützten prorussischen Separatisten kontrollieren bereits seit 2014 die ostukrainischen Gebiete um Luhansk und Donezk. Putin bekräftigte in seiner Rede, Russland wolle die Donbas-Region befreien. Das Dekret für die Teilmobilmachung sei unterzeichnet, sagte der russische Präsident. Die Einberufung von Reservisten werde noch am Mittwoch beginnen. Insgesamt verfüge Russland über zwei Millionen Reservisten. Putin betonte, dass er dem Rat der Militärs gefolgt sei. „Ich halte es für notwendig, den Vorschlag des Verteidigungsministeriums und des Generalstabs zu unterstützen, eine Teilmobilmachung in der Russischen Föderation durchzuführen“, sagte der Präsident.
Der Schritt soll auch die erheblichen Verluste der russischen Truppen ausgleichen. Verteidigungsminister Schoigu sprach davon, dass 5937 russische Soldaten in der Ukraine getötet worden seien. Das US-Verteidigungsministerium hatte am Montag allerdings erklärt, dass zwischen 70.000 and 80.000 russische Soldaten entweder getötet oder verletzt worden seien.
„Die Mobilisierung, die Forderung nach einem Referendum in Donezk, all das ist ein Zeichen von Panik“, sagte der niederländische Ministerpräsident Mark Rutte. „Seine Rhetorik über Atomwaffen haben wir schon oft gehört, und sie lässt uns kalt.“ Großbritannien und die USA bezeichneten den Schritt Russlands ebenfalls als Signal der Schwäche. Putins Drohungen müssten dennoch ernst genommen werden, sagte die Staatssekretärin im britischen Außenministerium Gillian Keegan bei Sky News. Sie sprach von einer besorgniserregenden Eskalation.
Deutschland sagte der Ukraine weiterhin Unterstützung zu. Man werde über den falschen und schlimmen Schritt Russlands beraten, sagte Wirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne). „Jedenfalls ist für mich und für die Bundesregierung klar, dass wir die Ukraine in dieser schwierigen Zeit weiter vollumfänglich unterstützen werden.“ Unterstützung dafür kam auch aus der SPD-Bundestagsfraktion. Die Union hat für Donnerstag im Bundestag eine Abstimmung über die Lieferungen von Kampfpanzern an die Ukraine beantragt.
Kanzler Olaf Scholz hatte in seiner Rede vor der UN-Vollversammlung in New York Russland zuvor „blanken Imperialismus“ vorgeworfen und die Weltgemeinschaft aufgefordert, der angegriffenen Ukraine zu helfen. Russland dürfe diesen Angriffskrieg nicht gewinnen.
Der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj hatte in seiner nächtlichen Video-Ansprache gesagt, dass die treibende Kraft an der Frontlinie eindeutig die Ukraine sei. Am Dienstag forcierte Russland Referenden in den besetzten Gebieten über einen Beitritt zu Russland. In den ostukrainischen Regionen Luhansk und Donezk wurden entsprechende Volksbefragungen bereits vom 23. bis 27. September angesetzt. Auch in der von Russland gehaltenen südukrainischen Region Cherson kündigten die Statthalter ein solches Referendum an. Erwartet wurde ein ähnlicher Schritt von der Region Saporischschja, wo das größte ukrainische Atomkraftwerk liegt, das immer wieder unter Beschuss geraten ist.
Russland verkündet Teilmobilmachung – Putin warnt: „Kein Bluff“
Quelle: Reuters
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