Tiflis, 31. Jan – Bis September spielte Alexej Antropow Kontrabass im Russischen Philharmonischen Orchester in Moskau. Jetzt arbeitet der 29-Jährige an einer Hotelrezeption in der georgischen Hauptstadt Tiflis und versucht, als Musiker wieder Fuß zu fassen. „Ich habe derzeit kein Orchester. Also baue ich mir mein eigenes auf“, sagt Antropow zu Reuters. Wie Zehntausende Russen floh auch er aus seinem Heimatland, um der Einberufung zum Kriegsdienst in der Ukraine zu entgehen. Erstmals seit dem Zweiten Weltkrieg hatte der russische Präsident Wladimir Putin Ende September eine Teilmobilmachung angeordnet. Viele Betroffene setzten sich ins Ausland ab, eine große Zahl ins Nachbarland Georgien. Es kann über Land erreicht werden, die Einreise ist relativ einfach, und die kulturellen Unterschiede zu Russland sind gering.
Dennoch dauerte es wegen des großen Andrangs drei Tage, bis Antropow in Georgien ankam. „Wir wurden auf Landstraßen zur Grenze gefahren, haben Polizisten bestochen und mussten dann mehr als zehn Kilometer einen Berg hoch“, sagt er mit einem Augenzwinkern. Er will erst einmal in Tiflis bleiben. „Der nächste russische Putin könnte noch beängstigender sein als der jetzige“, sagt er. Deshalb soll die georgische Hauptstadt sein neues Zuhause werden. „Ich brauche einen Ort, an den ich zurückkommen kann. Ich hoffe, dass Tiflis das wird, es ist eine schöne Stadt.“ Zu einem neuen Zuhause gehört auch die Musik. Deshalb hat Antropow andere klassische Musiker – allesamt Russen – um sich geschart. Sie proben in einem angemieteten Kellerraum im Zentrum der Stadt. Für die erste Probe musste Antropow einen Stapel Plastikstühle kaufen, damit sie Sitzgelegenheiten hatten. Ihr Ziel: Auftritte in Tiflis und vielleicht auch in der armenischen Hauptstadt Jerewan.
KONZERTE FEHLEN
Auftritte vermisst Grigori Dobrinin am meisten. „Das ist wirklich schwer“, sagt der Schlagzeuger der russischen Band SBPCh. Auch er machte sich nach der Teilmobilmachung auf den Weg nach Georgien, mit nur einem Koffer und zwei Hüten, die er bei seinen Konzerten trug. Während SBPCh in abgespeckter Formation weiter auftritt, verbringt Dobrinin den größten Teil seiner Zeit im Practica – einem Proberaum in Tiflis. Die Organisatoren wollten einen Treffpunkt für Musiker aus Georgien und dem Ausland schaffen. Dobrinin unterrichtet dort Schlagzeug. Alle zwei Wochen finden Jamsessions statt. „Zu unterrichten ist für mich kein Rückschritt“, sagt Dobrinin. „Unterrichten und in einer Band spielen sind zwei unterschiedliche Dinge, die man nicht vergleichen kann.“
Seit dem letzten Frühjahr ist die Sängerin und Gitarristin Anastasia Iwanowa – besser bekannt unter ihrem Künstlernahmen Gretschka (deutsch: Buchweizen) – nicht mehr in ihrer Heimat Russland aufgetreten. Auch sie versucht, sich in Tiflis ein neues Leben aufzubauen. Wegen ihrer Kritik an dem Krieg in der Ukraine stehe sie auf einer schwarzen Liste. In der Ukraine sei sie herzlich aufgenommen worden. Das habe sie bei einem Konzert nach der Annexion der Krim erfahren, sagt die 22-Jährige. „Wenn sie also im russischen Fernsehen erklären, die Ukrainer hassen die Russen, dann weiß ich: das ist Schwachsinn.“
Russische Musiker bauen sich ein neues Leben auf – in Georgien
Quelle: Reuters
Symbolfoto: Bild von Peter Anta auf Pixabay
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