Donnerstag, März 28, 2024
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Profit vor Patientenwohl

Besorgniserregend: Immer mehr Praxen in Investorenhand

Gebrochene Knochen, Darm- oder Brustkrebs und Thrombosen? In der Bundesrepublik schlagen immer mehr reiche, multinationale Investmentfirmen Profit aus der Gesundheit von Menschen. Wie ein aktuelles Gutachten der Kassenärztlichen Vereinigung Bayern1 zeigt, erhöhte sich innerhalb von zwei Jahren allein in Bayern die Zahl der Praxen in Investorenhand um 72 Prozent. Konkret bedeutet das: Unabhängig von der Fachrichtung gilt beinahe jedes zehnte Medizinische Versorgungszentrum als Private-Equity(PE)-Praxis. Auch die Radiologie wird stark von diesem Trend beeinflusst – mit negativen Folgen für Ärzte und Patienten.

Spekulation und ihre Folgen

Selbst im medizinischen Bereich müssen Kapitalanlagen wirtschaftlich sein und Renditen abwerfen. Für Patienten von investorengeführten Praxen geht das oft mit einer schlechteren Versorgung bei dennoch höheren Kosten einher. Laut KVB-Gutachten rechnen sogenannte PE-Praxen etwa 10 Prozent mehr Honorar ab als ihre inhabergeführten Pendants. Außerdem werden Patienten häufiger Zusatzleistungen verkauft, die nicht nur aus medizinischer Sicht unnötig sind, sondern selbst gezahlt werden müssen.

Aber nicht nur Menschen in Behandlung haben ein Nachsehen, auch Mediziner verlieren durch die absolute Profitorientierung. Mit einem oder mehreren Investoren im Hintergrund geht vor allem die Therapiefreiheit verloren. Ärzte entscheiden nicht mehr unabhängig, welche Behandlung am besten ist, sondern orientieren sich daran, womit sich am meisten Geld verdienen lässt. In der Folge verschiebt sich das Leistungsspektrum vom Patientenwohl in Richtung Rendite und führt zu einer verstärkten Konzentration auf rentable

Versorgungsbereiche und Regionen. Dadurch finden sich investorengeführte Praxen häufig in Ballungsgebieten. Anstelle eines flächendeckenden und wohnortnahen medizinischen Angebots droht Ausdünnung und damit die Gefährdung der im Sozialgesetzbuch festgeschriebenen Versorgungssicherheit. Überhaupt stehen riesige, oft durch Investmentfirmen finanzierte Medizinische Versorgungszentren diesem Ziel entgegen, da das gesamte Private-Equity-System nur so lange funktioniert, wie die Niedrigzinsphase anhält. Werfen andere risikoarme Anlagemöglichkeiten mehr Rendite ab, kann es passieren, dass Investoren ihr Geld aus den Praxen zurückziehen.

Was aber geschieht dann mit den medizinischen Spekulationsobjekten? Übliche Exit-Strategien wie der schnelle Weiterverkauf an neue Finanzinvestoren gehen zulasten der Daseinsvorsorge und des Solidarsystems. Letzteres ist sogar in doppelter Hinsicht gefährdet, denn hinter Medizinischen Versorgungszentren stehen häufig internationale Unternehmen, wodurch dem Fiskus Millionen entgehen.

Gastbeitrag Patientenwohl
Dr. Philipp Schlechtweg © Tuan Truong.

Orientierungshilfe absolut nötig

Drohende Versorgungsengpässe werden oft von inhabergeführten Praxen aufgefangen – allen voran in ruralen Gebieten. Dort sind Ärzte selbst Eigentümer und können frei Entscheidungen im Sinne des Patientenwohles treffen, ohne den Druck von Geldgebern. Aufgrund intransparenter Strukturen ist jedoch oftmals noch nicht einmal für Ärztekammern und Krankenkassen ersichtlich, wer hinter einer Praxis steckt. Aktuell gibt es weder eine Kennzeichnungspflicht noch ein öffentliches Register, das etwa Private- Equity-Praxen inklusive Kapitalgeber listet. Entsprechend bleibt häufig keine andere Option, als direkt bei der Praxis nachzufragen, ob sie inhaber- oder investorengeführt ist. Alternativ dazu bieten Verbände inhabergeführter Praxen eine erste Orientierung. So pflegt etwa die Radiologie Initiative Bayern ein Verzeichnis ihrer unabhängigen Mitglieder.

Was der Gesetzgeber jetzt tun sollte

Niedergelassene, freiberuflich tätige Ärzte müssen als Goldstandard ambulanter Versorgung geschützt werden. Hier ist die Politik gefragt: Neben der Schaffung von Transparenz bedeutet das eine Anpassung der gesetzlichen Vorgaben zur Bildung von Medizinischen Versorgungszentren, sodass die Mehrheit der Gesellschaftsanteile und Stimmrechte der Trägergesellschaft bei Vertragsärzten liegt. Zudem sollte die Zahl der Arztsitze in von Krankenhäusern gegründeten Medizinischen Versorgungszentren auf einen bestimmten Prozentsatz der Bedarfsplanung beschränkt und die Möglichkeit eines planungsbereichsübergreifenden Erwerbs von Arztstellen gestrichen werden. Daneben gilt es die Freiberuflichkeit zu stärken und eine marktbeherrschende Stellung von investorengeführten Praxisketten zu verhindern.

Ein Ausschreibungsverfahren für Niederlassungswillige, das Mediziner vorrangig berücksichtigt, die die Praxis als Vertragsärzte fortführen wollen, bildet einen ersten Schritt. Eine Obergrenze für die Zahl der in einem Medizinischen Versorgungszentrum tätigen angestellten Ärzte stellt eine weitere notwendige regulatorische Maßnahme dar. Zudem sollte die Möglichkeit gestrichen werden, dass Vertragsärzte auf ihre Zulassung verzichten können, um sich von einem Medizinischen Versorgungszentrum anstellen zu lassen. Und auch eine sogenannte „Konzeptbewerbung“ sollte aus dem Gesetz gestrichen werden, da sie die Grundsätze eines fairen Auswahlverfahrens verletzt.

Weitere Informationen unter www.radiologie-initiative-bayern.de

Zur Person:

Dr. Philipp Schlechtweg ist Facharzt für diagnostische Radiologie und stellvertretender Vorsitzender der Radiologie Initiative Bayern, eines Zusammenschlusses von inhabergeführten radiologischen Praxen in ganz Bayern. Gegründet wurde sie 2021, um auf politische Missstände im Gesundheitssystem aufmerksam zu machen. Sie sieht sich als Stimme niedergelassener Nuklearmediziner und Radiologen und setzt sich gegen Praxissterben und für eine bessere Versorgungsqualität ein. Inzwischen gehören der Radiologie Initiative Bayern mehr als 340 Ärzte an 115 Standorten an. Insgesamt gewährleisten sie jährlich die Versorgung von über 1,3 Millionen Patienten in Bayern.

1 Versorgungsanalysen zu MVZ im Bereich der KV Bayerns mit besonderem Augenmerk auf MVZ im Eigentum von Finanzinvestoren: https://www.kvb.de/fileadmin/kvb/dokumente/UeberUns/Gesundheitspolitik/IGES-MVZ-Gutachten- April-2022-Kurzfassung.pdf

Foto: Dr. Philipp Schlechtweg Copyright © Tuan Truong

Ein Gastbeitrag von Dr. Philipp Schlechtweg. Aussagen des Autors und des Interview-Partners geben nicht unbedingt die Meinung der Redaktion und des Verlages wieder. 

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