Immer mehr Menschen fühlen sich überfordert und erschöpft – und erkranken psychisch. Doch es gibt Maßnahmen, um den Trend aufzuhalten und besser mit Belastungen umzugehen. Eine große Rolle spielt dabei Achtsamkeit.
Viele Unternehmen in Deutschland sehen sich aktuellen Umfragen zufolge mit starken oder sehr starken Veränderungen konfrontiert, allein im Zuge der Digitalisierung. Und schieben daher ein Transformationsprojekt nach dem nächsten an. Das Problem: Ein Großteil dieser Projekte scheitert. Oft liegt das am mangelnden Change Management; die Belegschaft wird erst spät ins Projekt eingebunden und der Wandel selbst unzureichend kommuniziert. Ein weiterer Aspekt ist, dass Beschäftigte in gewisser Weise veränderungsmüde sind. Denn: Auch sie spüren den Druck, sich den ständig wechselnden Bedingungen anpassen zu müssen, und kämpfen nebenbei noch persönlich mit den unsicheren Zeiten und Zukunftsängsten. Beides zusammen zehrt an den Kräften und führt dazu, dass sich Mitarbeitende im Job belastet fühlen und erkranken. Laut dem neuesten Fehlzeitenreport der AOK befinden sich die Krankheitstage auf dem Höchststand; ein Teil davon ist auf langwierige psychische Erkrankungen zurückzuführen.
Was Studien zeigen, ist in der Praxis bestätigt. Ich erlebe regelmäßig, wie sehr Veränderungen bei der Arbeit – zusätzlich zur täglichen Arbeitslast – zu Erschöpfung und Überforderung führen. Das gilt vor allem für Führungskräfte. Denn mit Transformationsprojekten verbunden sind immer auch neue Rollen, Systeme und Zusammenarbeitsmodelle. Hinzu kommt, dass ein Führungsstil, der im Büro funktioniert hat, in der digitalen Zusammenarbeit plötzlich völlig neu entwickelt werden muss. Gleiches gilt für die Meetingkultur. Wird dann alles wieder zurückgedreht, weil die Geschäftsleitung die Anwesenheitspflicht im Büro wiedereinführt, ist das Chaos perfekt. Viele Führungskräfte fühlen sich dadurch inkompetent, verunsichert und unwohl.
In Transformationscoachings die Werte bestimmen und für psychologisches Empowerment sorgen
Wie können sich Unternehmen also erfolgreich verändern und Mitarbeitende trotzdem mental gesund bleiben? Ich arbeite aktuell mit verschiedenen Teams, die sich mit dem übergreifenden Thema mentale Gesundheit beschäftigen, sowohl im eigenen Unternehmen als auch bei Kunden. Typische Anwendungsfälle dabei sind, Mitarbeitende im Rahmen einer technischen Einführung von Software auf menschlicher Ebene zu begleiten oder eine veränderte Zusammenarbeit im Team, um die Wirksamkeit zu verbessern.
Entwickelt werden spezielle Programme, Schulungen, Anreize und viele weitere Maßnahmen für den Umgang mit permanenter Veränderung und der Steigerung des psychologischen Empowerments – ein Prozess zur Stärkung von Selbstwirksamkeitsempfinden. Das Fundament solcher Maßnahmen ist häufig die Arbeit mit Werten und die Ausrichtung auf die Sinnhaftigkeit der Veränderung, den Einfluss und Wirkungskreis eines jeden Einzelnen und die Stärkung des Zusammengehörigkeitsgefühls durch die gemeinsame Erarbeitung von Transformationsvisionen. In Transformationscoachings sollen Organisationen herausfinden, was ihnen wichtig ist und was ihre Ziele sind, wo sie heute stehen und was sie brauchen, um die Ziele zu erreichen. Die Ergebnisse werden dann von der Geschäftsleitung und der Führungsebene auf die einzelnen Teams ausgerollt, sodass diese den Prozess mitgestalten können. Wichtig dabei ist, stets auf die psychologische Sicherheit und das Kompetenzgefühl im Team zu achten. Anschließend erfolgt die Implementierung ins Unternehmen. Damit das Ganze nachhaltig wirkt, empfiehlt sich die vorübergehende Begleitung von Coaches, die als Berater und Impulsgeber fungieren und intern Coaches ausbilden können.
Achtsamkeit beeinflusst Führungsverhalten positiv
Besonders wichtig in Transformationsprojekten ist das Thema Achtsamkeit und die Zielgruppe Führungskräfte, die in ihrer Vorbildfunktion im Unternehmen oft die Schlüsselrolle einnehmen.
Die positive Wirkung von Achtsamkeit auf den Job wie ein regulierter Umgang mit Stress, die Gedächtnisleistung oder die Empathiefähigkeit ist längst empirisch bewiesen. Mehr noch: Kontrolliertes Atmen, Meditation und Achtsamkeitsübungen können nachweislich sogar Hirnstrukturen verändern – was wiederum dazu führt, dass sich zum Beispiel sogar Angst verringern kann. In meiner Dissertation fand ich unter anderem heraus, dass Führungskräfte, die im Umgang mit sich selbst und ihren Mitarbeitenden achtsam sind, weniger destruktiv und gleichzeitig transformationaler führen. In eigens entwickelten achtsamkeitsbasierten Präsenztrainings für Führungskräfte haben mein Team und ich zudem festgestellt, dass sich deren Führungsverhalten signifikant verbesserte, sie ihr Stressniveau senken konnten, achtsamer wurden und sich sowohl deren Führungsverhalten als auch deren Gemütszustand positiv auf deren Mitarbeitende auswirkte. Der Vergleich zur Kontrollgruppe, die nur Achtsamkeit mithilfe einer App praktizierte, zeigte verstärkt die positive Veränderung der Führungskräfte, die unser ganzheitliches Achtsamkeits-Führungskräfteprogramm durchlaufen sind. Nur alleine die App-Nutzung hatte keinerlei Effekte.
Nicht nur predigen, sondern leben
Aus meinen Erfahrungen ergibt sich eine klare Empfehlung an Unternehmen: Nicht nur die Probleme wahrzunehmen und die Symptome zu ändern, sondern das Thema wirklich anzunehmen und damit zu entstigmatisieren. Das bedeutet, Mitarbeitende tatsächlich in Achtsamkeit zu schulen, damit sie im Change-Prozess – und auch sonst im Arbeitsalltag – einen kühlen Kopf bewahren. Angefangen mit den Führungskräften. Sie sind die Vorbilder, an denen sich ihre Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter orientieren. Sie können ihren Teams in einem derzeit sehr volatilem Umfeld Sicherheit geben, sich selbst und anderen gegenüber Ruhe ausstrahlen.
Darüber hinaus passen Maßnahmen, wie beispielsweise Communities zu bilden, in denen das Thema achtsame Kommunikation behandelt und geübt wird. Hier schafft man zunächst einen angenehmen und sicheren Raum, in dem man sich austauscht. Außerdem kann man in Meetings neue Rituale wie Check-ins und Check-outs, kurze Meditationen und Body Scans implementieren. Auf lange Sicht gesehen führen solche Maßnahmen sogar zu einem höherem affektiven Commitment, das heißt, die Mitarbeitenden bleiben dem Unternehmen aufgrund ihrer emotionalen Bindung länger erhalten. Wichtig dabei ist, nicht auf schnelle, effiziente Ergebnisse, sondern auf langfristige Effekte zu setzen. Erst dann profitieren Unternehmen von gesunden, resilienten, leistungsfähigen und loyalen Mitarbeitenden, im Change genauso wie im Daily Business.
Über die Autorin:
Dr. Sarah Lange, Managerin, People & Culture bei MHP, ist Expertin für Personalentwicklung und Veränderungsmanagement. Sie berät Kunden zum Thema mentale Gesundheit und fördert dieses auch intern.
Permanenter Veränderung achtsam begegnen
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