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Ökonomen zur größten EZB-Zinserhöhung seit 2002

Frankfurt/Berlin, 08. Sep – Die EZB stemmt sich mit dem größten Zinsschritt seit Einführung des Euro-Bargelds 2002 gegen die Rekordinflation. Die Währungshüter um EZB-Chefin Christine Lagarde beschlossen am Donnerstag, den sogenannten Hauptrefinanzierungssatz um einen Dreiviertel-Prozentpunkt auf 1,25 Prozent zu erhöhen. Die Währungshüter reagieren auf die ausufernde Inflation, die zuletzt mit 9,1 Prozent einen Höchststand erreichte.

Analysten sagten dazu in ersten Reaktionen:

Hetal Mehta, Senior European Economist bei Legal & General Investment Management (LGIM)

“Die EZB schaltet einen Gang höher und reiht sich in den kleinen, feinen Club der großen Zentralbanken ein, die schon einmal in einer einzigen Sitzung den Leitzins um ganze 75 Basispunkte angehoben haben. 

Die Bank lässt außerdem wenig Spielraum für Interpretation, dass weitere Zinssteigerungen in den kommenden Monaten zu erwarten sind – schließlich bekämpft sie nicht nur die aktuelle Inflation, sondern auch die mittelfristigen Inflationserwartungen, und das, obwohl sich die Wachstumsaussichten eintrüben. Herbst und Winter dürften nicht einfach werden für die EBZ, denn ihr geldpolitisches Dilemma wird sich nicht einfach in Luft auflösen.”

ULRICH KATER, CHEFVOLKSWIRT DEKABANK:

„Nach ihrem Spätstart nimmt die EZB Fahrt auf. Die Zinsen steigen weiter. Zuletzt hatte sich die Datenlage zwar nicht mehr verschlimmert, aber die hohen Inflationsraten dauern bereits zu lange an. Das erhöht die Gefahr der Verfestigung. Die EZB hat mittlerweile Angst, dass ihr die Felle davonschwimmen und sie in ein jahrelanges Inflationsproblem hineinläuft. Die Frage lautet nur, warum dies erst so spät gesehen wurde.“

JENS-OLIVER NIKLASCH, LBBW:

„Ein klarer Sieg für die Falken im EZB-Rat. Angesichts der Inflationsdaten war dies auch höchste Eisenbahn. Bemerkenswert ist der starke Anstieg der Projektionen für die Inflationsrate. Wurden die Modelle der EZB nachkalibriert? Oder hat man die Prognosen im Lichte der jüngeren Vergangenheit mit einem Risikoaufschlag versehen? In jedem Fall ist begrüßenswert, dass im Euro-Tower anscheinend ein ungeschminkter Realismus Einzug gehalten hat. Die EZB entscheidet nun von Meeting zu Meeting und das ist gut so. Der natürliche Feind der Notenbank ist nun einmal die Inflation und darauf konzentriert sie all ihre Kräfte.“

JÖRG ZEUNER, CHEFÖKONOM UNION INVESTMENT:

„Die Währungshüter geben auch den Sparern ein deutliches Signal: Die Nullzinspolitik ist zu Ende. In den nächsten zwei Sitzungen bis zum Jahresende dürfte die EZB die Zinsen dann um weitere 50 beziehungsweise 25 Basispunkte anheben. Der heutige Rekord-Zinsschritt dürfte ein Zugeständnis an die Falken im EZB-Rat sein, damit diese nicht auf ein baldiges Ende der Refinanzierungen fälliger Anleihen aus dem APP-Wertpapierkaufprogramm drängen. Denn ein Bilanzabbau würde die Anleihen aus Euro-Peripherieländern in einer angespannten Marktlage belasten und käme darum ungelegen. Die Aussichten für die Geldpolitik im Euroraum bleiben schwierig. Trotz des großen Zinsschrittes hat sich die Notenbank nicht sonderlich viel Spielraum verschafft. An den Märkten ist der heutige Schritt zwar bereits weitgehend eingepreist worden und hat darum vorerst kaum zu Reaktionen geführt. Zu groß sind aber die Inflationsrisiken, die von den Energiepreisen ausgehen.

FRIEDRICH HEINEMANN, ZEW-INSTITUT:

„Der große Zinsschritt war unausweichlich. Angesichts einer vermutlich bald zweistelligen Inflationsrate in der Euro-Zone mussten auch die Tauben im Rat den Widerstand gegen starke Zinserhöhungen aufgeben. Der Ansehensverlust der EZB nach ihren eklatanten Inflations-Fehlprognosen wird besonders durch die steigenden Inflationserwartungen der Finanzprofis deutlich. Hier muss die EZB durch einen straffen Kurs nun neue Glaubwürdigkeit zurückgewinnen.

Wichtig für mehr Glaubwürdigkeit ist neben weiteren Zinsanhebungen in den kommenden Monaten eine Korrektur der EZB-Kommunikation. EZB-Präsidentin Christine Lagarde hat mit ihrem breiten Interesse für verschiedenste politische Themen das riskante Signal ausgesendet, dass die EZB zu einer politischen Institution mit einem diffusen Zielsystem geworden ist. Damit war Europas Zentralbank in der öffentlichen Wahrnehmung aus der Rolle gefallen, die ihr vom Maastrichter Vertrag zugewiesen worden war. Die Präsidentin sollte in den kommenden Monaten nur noch über ein einziges Thema reden, nämlich wie die EZB ihr prioritäres Ziel der Preisstabilität wieder erreichen kann.“

FRITZI KÖHLER-GEIB, CHEFVOLKSWIRTIN KFW BANK:

„Die hohen Inflationsraten in Deutschland und Europa machen mir große Sorgen, und bis zu einer Trendwende wird noch einige Zeit ins Land gehen. Umso richtiger war die heutige Entscheidung der EZB, mit einem 75 Basispunkt-Zinsschritt ein deutliches Zeichen zu setzen und den konjunkturellen Kassandra-Rufen zu widerstehen. Mit Blick auf die Revisionen der Inflations- und Wachstumsprognosen spiegelt der Zinsentscheid die neue Entschlossenheit der Notenbank wider, die Inflation zurück „auf Ziel“ zu bringen und vor allem die langfristigen Inflationserwartungen zu verankern.

Dieser Kurs wird allerdings noch einige Opfer und notwendige, nachfrageseitige Anpassungen bei Haushalten, Unternehmen und dem Staat erfordern. Sollte die EZB hingegen zu früh lockern, läuft sie Gefahr, dass erreichte Erfolge vergeblich waren und die langfristigen, ökonomischen Kosten der Inflationsreduzierung nur gestiegen sind.“

BASTIAN HEPPERLE, HAUCK AUFHÄUSER LAMPE PRIVATBANK:

„Nicht kleckern, sondern klotzen, solange es noch geht. Die EZB geht mit dem ‚Jumbo‘-Zinsschritt energischer gegen den massiven Inflationsanstieg vor. Auf die stark eingetrübten Konjunkturaussichten wird vorerst keine Rücksicht genommen. Weitere Zinserhöhungen sind unterwegs, bis im Winterhalbjahr der Rezessionsgeist wirklich spukt. Dann ist mehr Zoff innerhalb des EZB-Rats und größerer Widerstand gegen höhere Leitzinsen absehbar. Schon jetzt bestehen unterschiedliche Einschätzungen über das Ausmaß von Lohnsteigerungen und einer Entkoppelung langfristiger Inflationserwartungen.“ 

JÖRG KRÄMER, COMMERZBANK-CHEFVOLKSWIRT:

„Es ist gut, dass sich die EZB zu einem großen Zinsschritt um 75 Basispunkte durchgerungen hat. Jetzt kommt es darauf an, dass sie ihre Leitzinsen in den kommenden Monaten trotz steigender Rezessionsrisiken auch tatsächlich weiter kräftig anhebt. Sie sollte zügig über das konjunkturneutrale Zinsniveau hinausgehen, das ich bei 2,5 bis 3 Prozent sehe. Andernfalls büßt sie weiter an Glaubwürdigkeit ein, und die deutlich gestiegenen langfristigen Inflationserwartungen der Bürger drohen zu einer sich selbst erfüllenden Prophezeiung zu werden.“

MICHAEL HEISE, CHEFÖKONOM HQ TRUST:

„Es ist für die Wirtschaft besser, wenn die EZB die Zinsen schnell anhebt, anstatt das Bremsmanöver und die Unsicherheit über lange Zeit zu strecken. Mit der Anhebung der Leitzinsen um 75 Basispunkte sendet die EZB ein Signal der Entschlossenheit im Kampf gegen die Inflation. Angesichts des Verbraucherpreisanstiegs von über neun Prozent und der Wertverluste des Euro war diese späte Einsicht dringend erforderlich.“

Update:

Wolfgang Bauer, Fondsmanager im Public Fixed Income Team bei M&G Investments, kommentiert die heutige Zinsentscheidung der EZB wie folgt:

“Da ihre Glaubwürdigkeit als Hüterin der Preisstabilität in Europa auf dem Spiel steht, hat sich die EZB heute für die größte Zinserhöhung ihrer Geschichte entschieden. Ob der Schritt von 0,75% eine spürbare Auswirkung auf die Inflation in den kommenden Monaten haben wird, ist jedoch fraglich. Steigende Energie- und andere Rohstoffpreise wirken sich schleichend auf die Kerninflation aus, da höhere Einkaufs- und Herstellungspreise die Unternehmen dazu zwingen, die Kosten – zumindest teilweise – an ihre Kunden weiterzugeben. Diese kostentreibende Inflation, die zu einem großen Teil durch Angebotsschocks verursacht wird, ist mit geldpolitischen Instrumenten nur schwer zu bekämpfen. Um es ganz offen zu sagen: Selbst die ehrgeizigste Zinserhöhung der EZB wird die Wiedereröffnung von Nord Stream 1 nicht ermöglichen. Eine Energiepreisobergrenze, wie sie derzeit in Großbritannien diskutiert wird, wäre unter diesen besonderen Umständen wohl das wirksamere politische Instrument.”

Ökonomen zur größten EZB-Zinserhöhung seit 2002

Quelle: Reuters und Fundscene

Titelfoto: Symbolfoto

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