Zürich, 16. Jun (Reuters) – Die Schweizerische Nationalbank (SNB) erhöht nach mehr als sieben Jahren geldpolitischem Beharren überraschend die Zinsen. Der Leitzins und der Zins auf Sichteinlagen bei der Notenbank betragen ab 17. Juni 2022 minus 0,25 Prozent, wie die SNB am Donnerstag mitteilte. Seit Januar 2015 betrugen die Sätze minus 0,75 Prozent. Die Nationalbank straffe die Geldpolitik, um dem gestiegenen inflationären Druck entgegenzuwirken.
Volkswirte kommentieren die geldpolitische Lagebeurteilung der SNB wie folgt:
PHILIPP BURCKHARDT, LOMBARD ODIER IM
Es scheint offensichtlich, dass die SNB zügig aus den Negativzinsen steigen und sich Richtung neutralem Gleichgewichtszinssatz bewegen möchte, auch weiterhin, wenn nötig, in größeren Schritten als 0,25 Prozent. Dies, da wir uns immer noch in einem äußerst expansiven geldpolitischen Umfeld befinden und der Weg zur Normalisierung noch ein weiter ist. In einem zweiten Schritt sollte die SNB gemäß unserer Einschätzung versuchen, die Bilanz schrittweise zu verkürzen, was den Druck auf den Schweizer Franken weiter erhöhen und gleichzeitig der Wirtschaft ein wenig Wind aus den Segeln nehmen sollte. Dies könnte dazu führen, dass insgesamt weniger Zinsschritte nötig sein werden oder dass der Anstieg gradueller und langsamer ablaufen wird, als dies aktuell von den Märkten erwartet wird.
JÖRG ANGELÉ, BANTLEON
Die SNB nimmt mit ihrem Überraschungscoup… Aufwertungsdruck auf den Franken in Kauf. Die Tatsache, dass die eigene Währung nicht mehr als hoch bewertet charakterisiert wird, deutet aber an, dass eine gewisse Frankenstärke zur Eindämmung der Inflation durchaus erwünscht ist. Gleichzeitig hält sich die Notenbank aber alle Optionen offen, eine zu starke Aufwertung mittels Devisenmarktinterventionen zu unterbinden. Sie wird insbesondere alles daran setzen, ein Unterschreiten der Parität von EUR/CHF zu verhindern.
Unserer Einschätzung nach gibt es insbesondere mit Blick auf die Inflationsprognose für 2023 weitere Aufwärtsrisiken. Da sich der Arbeitsmarkt gleichzeitig bis zuletzt äußerst robust präsentiert hat – Arbeitslosenquote auf niedrigstem Stand seit 20 Jahren – und einige Gewerkschaften bereits deutlich höhere Lohnforderungen kommuniziert haben, rechnen wir im September und Dezember mit weiteren Zinsanhebungen. Ende des Jahres wird der Leitzins erkennbar im positiven Bereich liegen, wir gehen von +0,75 Prozent aus. Trotz dieses forschen Vorgehens läge der Leitzins dann jedoch wieder unter dem der EZB. Insgesamt dürfte das Ausmaß der Zinsanhebungen angesichts der im internationalen Vergleich trotz allem relativ niedrigen Inflationsrate jedoch hinter dem zurückbleiben, was beispielsweise Fed und EZB liefern werden.
CHRISTIAN SCHULZ, CITI
Die SNB hat eindeutig die Absicht, auch auf den kommenden Sitzungen die Zinsen zu erhöhen. Wir gehen jedoch nach wie vor nicht davon aus, dass die SNB die EZB überholen und einen Aufwertungsdruck auslösen will, der dann zu Devisenmarktinterventionen in großem Umfang zwingt. Da die EZB die Zinsen im September und Oktober voraussichtlich um 50 Basispunkte anheben wird, wäre der Weg für die SNB frei, die Zinsen auf den verbleibenden Sitzungen dieses Jahres ebenfalls um jeweils 50 Basispunkte anzuheben. Im März könnte eine weitere Zinserhöhung um 25 Basispunkte erfolgen, um den Leitzins auf ein Prozent zu erhöhen. Wenn die Devisenmärkte es zulassen (das heißt, wenn der Franken die Euro-Parität nicht überschreitet), könnte die SNB im nächsten Jahr mit einem nachhaltigeren (das heißt nicht opportunistischen) Bilanzabbau beginnen.
BRIAN MANDT, LUZERNER KANTONALBANK
Und sie bewegt sich doch! Die SNB hat das Zinsruder herumgerissen und den Leitzins um 50 Basispunkte angehoben. Die Inflationsrate ist hierzulande zwar mit aktuell 2,9 Prozent im internationalen Vergleich noch moderat. Doch die Inflationsrisiken haben auch in der Schweiz zugenommen. Daher war der Schritt nötig. Gleichzeitig kündigte die SNB weitere Zinsschritte an, um die inflationären Risiken einzudämmen. Mit dem Zinsschritt nimmt sie auch in Kauf, dass der Franken vor allem gegenüber dem Euro weiter stark bleibt oder sogar noch aufwertet. Dies dient den Schweizer Währungshütern als zusätzliches Mittel, um die importierte Inflation zu verringern.
THOMAS GITZEL, VP BANK
Die SNB erhöht heute überraschend deutlich den Leitzins um 50 Basispunkte. Um Inflationsgefahren zu begegnen bedarf es eines klaren Handelns. Das ist gut so. Laut der SNB solle die straffere Geldpolitik verhindern, dass die Inflation in der Schweiz breiter auf Waren und Dienstleistungen übergreift. Weiter heißt es, nicht auszuschließen sei, dass in absehbarer Zukunft weitere Zinserhöhungen nötig werden, um die Inflation auf mittlere Frist im Bereich der Preisstabilität zu stabilisieren. Die SNB wird also den Leitzins bei der nächsten Zinssitzung weiter erhöhen. Zum Jahresende werden die Zinsen in der Schweiz klar über der Null-Prozent-Marke liegen. Die Gnadenfrist für die Negativzinsen läuft ab.
Glückwunsch, SNB. Die Zinserhöhung ist die richtige Entscheidung. Auch wenn die eidgenössischen Währungshüter sich einer im internationalen Vergleich geringen Teuerungsrate von zuletzt 2,9 Prozent gegenübersahen, der Negativzins von 0,75 Prozent passte dazu trotzdem nicht. Es ist deshalb richtig, dass die SNB heute ein deutliches Zeichen setzte. Je schneller es mit den Leitzinsen nach oben geht, desto besser sind Inflationsgefahren unter Kontrolle zu bringen.
Bereits zum Jahresende wird in der Schweiz ein klares positives Zinsniveau zu verzeichnen sein. Auch dass die SNB vor der EZB reagiert ist richtig. Die SNB hat sich damit emanzipiert. Dies macht aber einmal mehr deutlich, wie sehr die EZB im Hintertreffen ist. Die europäischen Währungshüter fahren derzeit im Bummelzug weiter und riskieren damit die Glaubwürdigkeit ihre Geldpolitik.
Ökonomen zur geldpolitischen Lagebeurteilung der SNB
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