Dass Influencer:innen vor allem auf Paid-Content-Plattformen wie OnlyFans ein beträchtliches Einkommen erzielen können, ist kein Geheimnis
Ungefähr 20 Prozent der Top-100-Creators weltweit nehmen monatlich mehr als 100.000 Euro ein. Anders als in vielen anderen Bereichen oder Jobs ist im oberen Verdienstsegment ein Großteil weiblich, womit sich nicht nur die üblichen Einkommensdisparitäten umkehren. Sie fordern auch traditionelle Geschlechterbilder und überkommene Stigmata über weibliche Körper heraus.
Mit zweierlei Maß gemessen
Als Schauspieler Jeremy Allen White für eine Werbekampagne die Treppe eines New Yorker Wohnhauses erklomm und sich die Klamotten vom Leib riss, um nur in Unterhose, Sneakern und Tennissocken bekleidet auf dem Dach des Gebäudes auf und ab zu tigern, wurde er ein viraler Hit. Allein der erste Instagram-Post bekam in kürzester Zeit 1,7 Millionen Likes und sechs Herz-Emojis von Emmanuelle Alt, der damaligen Chefredakteurin der französischen „Vogue“. Sechs Wochen später sorgt dieselbe Wäsche-Marke mit einem ähnlichen Konzept, aber mit einem anderen Modell für weniger Begeisterung. Zu sehen in den neuen Ads war kein halbnackter Mann, sondern die leicht bekleidete, britische Musikerin FKA Twigs.
Sie ist in seitlicher Pose zu sehen mit einem offenen Jeanshemd über ihrer linken Schulter. Ein Dorn im Auge von zwei britischen Betrachtern, die bei der zuständigen Aufsichtsbehörde Advertising Standards Authority (ASA) Beschwerde einlegten. Die sprach kurzerhand ein Verbot aus: FKA Twigs werde als „stereotypes Sexualobjekt“ dargestellt. Für die Künstlerin selbst unverständlich. In ihrem Instagram-Statement verweist sie auf Ikonen wie Josephine Baker, Eartha Kitt und Grace Jones, die die Grenzen von Selbstermächtigung und Sinnlichkeit sprengten: „Ich sehe das stereotypische Sexobjekt, als das sie mich bezeichnet haben, nicht. Ich sehe eine schöne, starke Woman of Colour, deren unglaublicher Körper mehr Schmerz überwunden hat, als man sich vorstellen kann“, schreibt sie und wirft der Organisation Doppelmoral vor.
Von Selbstbestimmung und Selbstdarstellung
Kampagnen wie mit FKA Twigs und Jeremy Allen White sind nur die aktuell prominentesten Beispiele für kontroverse Debatten über weibliche Körperlichkeit. Was ein Großteil der Netzöffentlichkeit nicht weiß: Für Creatorinnen, Influencerinnen und andere weibliche Social-Media-Persönlichkeiten gehören Zensur und Doppelmoral zum Alltag. Insbesondere Plattformen wie Instagram, Facebook oder TikTok haben strikte Richtlinien, die explizit oder implizit bestimmte Arten von Körperlichkeit verbieten. Ein Beispiel: Während unbekleidete Brüste und Brustwarzen von Männern grundsätzlich akzeptiert sind, werden Darstellungen ihrer weiblichen Pendants strikter reguliert.
Und auf Paid-Content-Plattformen wie OnlyFans? Hier sind die Richtlinien deutlich entspannter, die Vorurteile aber ähnlich gelagert. Creators können zwar ganz verschiedenen Content etwa aus Bereichen wie Lifestyle, Fitness oder Kunst mit ihren Fans teilen, oft überwiegen jedoch freizügige Inhalte. Insbesondere Frauen spüren dabei noch viel vom Patriarchat, wie Ballerina und OnlyFans-Creatorin Avva erst kürzlich in einem Interview mit der „Wienerin“ unterstrich. Jeder spreche über Sexarbeiterinnen, dabei gebe es mehr als genug Pornodarsteller. Aber darüber rede keiner. Frauen hingegen würden als Schlampe, Hure oder dergleichen bezeichnet und seien generell dumm.
Avva hat sich entschlossen, bewusst mit Vorurteilen über Hochkultur und Weiblichkeit zu spielen, zu provozieren und den Reiz der Exklusivität auszukosten, nicht weil sie Geld verdienen muss und keine andere Möglichkeit hat. Auf OnlyFans haben Frauen wie Avva die Chance, über ihren Körper selbst zu bestimmen. Was sie zeigen und wo sie Grenzen ziehen, unterliegt ihrer Kontrolle. Sicher sind die Bilder oft am männlichen Blick orientiert. Ziel des Contents ist es schließlich die häufig männliche Zielgruppe anzusprechen. Trotzdem wird der männliche Blick nicht einfach affirmiert. Jede Creatorin hat ihren eigenen Style. Nimmt sie also eine bestimmte Pose ein oder teilt ein Selfie im Bademantel, demonstriert sie damit ihre Individualität und ihre Kreativität. Gleichzeitig muss jeder Creatorin und übrigens auch jedem Creator klar sein, dass Bilder, die einmal im Internet sind, dort auch bleiben. Umso wichtiger ist es, dass eine Karriere als OnlyFans-Talent eine bewusste Entscheidung ist.
Weitere Informationen unter https://famez.de/
Zur Autorin:
Sandra Bock ist Social-Media-Expertin, Talentmanagerin und Co-Founder der Famez Media Group, einer Social-Media-Agentur mit Sitz in Berlin. Sie war früher selbst OnlyFans-Talent und gibt ihre Erfahrungen sowie persönliche Tipps aus der Praxis an ihre Klientinnen weiter.
Bildcredits: (c)Famez Media Group