Berlin, 12. Sep (Reuters) – Angesichts der Gaskrise und hoher Inflation steigt die Zahl der beantragten Regelinsolvenzen in Deutschland. Sie legte im August um 6,6 Prozent zum Vormonat zu, wie das Statistische Bundesamt am Montag mitteilte. Im Juli war sie noch um 4,2 Prozent gesunken. Der Berufsverband der Insolvenzverwalter und Sachwalter Deutschlands (VID) schließt nicht aus, dass bei der anhaltend teuren Energie und anziehenden Preisen etwa für Rohstoffe und Logistik die betroffenen Firmen in die Verlustzone geraten. „In der Folge könnten die Unternehmensinsolvenzzahlen innerhalb der nächsten zwölf Monate um bis zu 40 Prozent steigen“, sagte VID-Vorständin Jutta Rüdlin. „Dies wäre allerdings auf der historisch niedrigen Basis keine Insolvenzwelle, sondern eine Normalisierung der Zahlen.“
Insolvenzexperten spürten derzeit einen „deutlich gestiegenen Beratungsbedarf vor allem bei Unternehmen aus energieintensiven Branchen“, betonte Rüdlin. Die Entlastungspakete der Bundesregierung enthielten bisher keine pauschalen Hilfszusagen, sondern konzentrierten sich auf eine Erleichterung bei der Insolvenzantragspflicht für Unternehmen, die im Kern gesund und auch langfristig überlebensfähig seien.
Von den Insolvenzverfahren sind 30 Prozent Regelinsolvenzen, zu denen in erster Linie jene von Unternehmen zählen. Dabei ist laut Statistikamt zu berücksichtigen, dass die Verfahren erst nach der ersten Entscheidung des Insolvenzgerichts in die Statistik einfließen. Der Zeitpunkt des Insolvenzantrags liegt in vielen Fällen etwa drei Monate davor.
Im ersten Halbjahr haben die deutschen Amtsgerichte nach endgültigen Ergebnissen 7113 Firmenpleiten gemeldet – vier Prozent weniger als in den ersten sechs Monaten 2021. Die meisten Pleiten gab es im Baugewerbe mit 1330 Fällen und im Handel (samt Instandhaltung und Reparatur von Kraftfahrzeugen) mit 1058 Verfahren.
Die voraussichtlichen Forderungen der Gläubiger aus den in den ersten sechs Monaten des laufenden Jahres gemeldeten Unternehmensinsolvenzen bezifferten die Amtsgerichte auf knapp 8,2 Milliarden Euro. Im ersten Halbjahr 2021 hatten sie bei rund 31,8 Milliarden Euro gelegen, da mehr wirtschaftlich bedeutende Unternehmen insolvent wurden als im ersten Halbjahr 2022.
Das Institut für Wirtschaftsforschung Halle (IWH) rechnet für den Herbst mit mehr Pleiten. Verantwortlich dafür seien in erster Linie stark steigende Preise für wichtige Produktionsfaktoren. Während der Ukraine-Krieg zu höheren Energiekosten führe, seien Unterbrechungen der internationalen Lieferketten für die Verteuerung vieler importierter Vorleistungsgüter verantwortlich. Die von der Europäischen Zentralbank (EZB) ausgerufene Zinswende werde überdies die Refinanzierungskosten erhöhen. Ein Kostenfaktor für viele Firmen sei auch der ab Oktober höhere Mindestlohn.
Die Zahl der Verbraucherinsolvenzen sank bis Ende Juni um gut 20 Prozent binnen Jahresfrist. Im vorigen Jahr gab es sehr viele Verbraucherpleiten, weil sich die Frist für einen wirtschaftlichen Neuanfang von sechs auf drei Jahre verkürzte und viele überschuldete Personen mit ihrem Antrag warteten. „Dieser Nachholeffekt sorgte ab Anfang 2021 für einen starken Anstieg der Verbraucherinsolvenzen und scheint inzwischen beendet“, erklärten die Statistiker.
Mehr Firmenpleiten im August – Experten erwarten 40 Prozent Anstieg
Quelle: Reuters
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