Die Elektrifizierung setzt sich mit Nachdruck in vielen Industrien durch und treibt die Unabhängigkeit von Technologien auf Basis fossiler Brennstoffe voran. Mit dem Einsatz von Leistungselektronik, Batterien und elektrischen Maschinen aller Größenordnungen ist es zur Regel geworden, eine wachsende Zahl von Embedded Systemen zur Steuerung und Regelung einzusetzen. Wie können Ingenieure solch komplexe Systeme entwerfen, schnell iterieren und ihre Designs auf dem Weg validieren? Frank Graeber, Manager Application Engineering bei MathWorks, erklärt, warum Entwickler aller Branchen – von erneuerbaren Energien über Mechatronik bis hin zum Transportwesen – heute Model-Based Design benötigen, um komplexe Software für den Elektrifizierungsprozess zu entwickeln.
Integration von Systemdesign und Komponentenentwicklung
Die fortschreitende Elektrifizierung bringt eine doppelte Herausforderung mit sich: die Entwicklung einzelner Komponenten und die Optimierung des Gesamtsystems. In der traditionellen Komponentenentwicklung sind Anforderungen und Schnittstellen klar definiert. Das Ziel ist die schnelle und effiziente Realisierung dieser Komponenten, oft mittels Model-Based Design. Doch die wahre Komplexität entfaltet sich erst in der systemweiten Optimierung, bei der beispielsweise nicht mehr nur einzelne Fahrzeugkomponenten einbezogen werden, sondern das Zusammenspiel von z.B. Fahrzeug, Ladeinfrastruktur und Energieerzeugung berücksichtigt werden muss.
Die Entwicklung von Systemen und Komponenten kann nicht mehr isoliert betrachtet werden; vielmehr muss sie ineinandergreifen. Elektrifizierung überschreitet damit Domänengrenzen und verschiedene Technologien. Die Betrachtung des Gesamtsystems hilft dabei, bessere Anforderungen zu definieren und ein tieferes Verständnis für die Komponentengrenzen zu entwickeln. Ein umfassendes Systemdesign ermöglicht es, die unterschiedlichen Anforderungen von Herstellern und Hardware-Plattformen zu integrieren und eine herstellerunabhängige Hardwareauswahl zu treffen.
Entwicklung von Embedded Systemen unabhängig von Hardware
Neben der effizienten Systemmodellierung ermöglicht Model-Based Design eine hardwareunabhängige Algorithmen-Entwicklung: Der Algorithmus eines Systems, der auf einem Embedded System umgesetzt wird, kann unabhängig von der Hardware-Plattform entwickelt und verifiziert werden. Dies ermöglicht die Integration von Controllern als Komponenten, die im Modell noch nicht als spezifische Hardware implementiert sein müssen. Erst in einem zweiten Schritt erfolgt die Implementierung des Algorithmus auf einer spezifischen Hardware-Plattform mithilfe von Hardware Support Packages. Diese unterstützen die automatisierte Codegenerierung sowie die virtuelle Hardware-in-the-Loop-Simulation.
Dieser Ansatz findet bereits breite Anwendung in der Automobilindustrie. Die Entwicklung hin zu batterieelektrischen Fahrzeugen (BEV) und autonomem Fahren (AD) führt zu einem wachsenden Bedarf an neuen elektrischen/elektronischen (E/E) Architekturen, erhöhter Rechenleistung und zunehmend komplexeren Algorithmen. Darüber hinaus haben jüngste Störungen in der Halbleiter-Automobil-Lieferkette die Bedeutung von Halbleitern und die Notwendigkeit einer plattformübergreifenden Flexibilität hervorgehoben.
Künstliche Intelligenz in der Elektrifizierung
Der Einsatz von Künstlicher Intelligenz setzt in vielerlei Hinsicht neue Maßstäbe in der Weiterentwicklung der Elektrifizierung. So beschleunigen KI-Methoden, die die Erstellung von Modellen für physikalische Komponenten oder Systeme ermöglichen, signifikant den Simulationsprozess, während sie gleichzeitig das wesentliche Verhalten des Systems abbilden. Auch die Integration von KI-Modellen in die Validierung und das Testen bietet Vorteile. Die Entwicklung virtueller Sensorsysteme mithilfe von KI ist ein weiteres innovatives Feld. Diese bieten – ohne wiederkehrende Materialkosten und wartungsfrei – kritische Signale für die Steuerung von elektrischen Systemen.
KI-Tools ermöglichen außerdem die Messung physikalisch nicht leicht messbarer Größen wie z.B. State-of-Charge oder State-of-Health innerhalb eines Battery Management Systems (BMS). Die Erstellung physikbasierter Modelle und die Generierung von synthetischen Daten für das Training solcher Sensoren sind bei einer derartigen Nutzung entscheidend. Solche Modelle können direkt in Systemmodelle für eine Validierung integriert werden.
KI-basierte Ansätze werden auch für die Entwicklung von Steuerungsalgorithmen in nichtlinearen Systemen eingesetzt, wobei Modelle gegen simulierte Umgebungen trainiert und in simulationsbasierte Verifikationen integriert werden können. Im Bereich der Energievorhersage tragen KI-Anwendungen dazu bei, die Stromversorgung, ‑nachfrage und ‑preisgestaltung präziser vorauszusagen, was zu einer Reduktion von Unsicherheiten im Stromnetzbetrieb führt.
Cybersecurity in der Systementwicklung
Die zunehmende Vernetzung von elektrischen Systemen erfordert auch eine umfassende Berücksichtigung von Cybersecurity, um Cyberangriffen vorzubeugen und die Sicherheit der Infrastruktur zu gewährleisten. Hier sind innovative Ansätze und die Integration von Sicherheitsaspekten in allen Phasen der Systementwicklung gefragt.
Cybersecurity muss in jeder Phase der Systementwicklung berücksichtigt werden, angefangen bei der Systemsimulation und Anforderungsermittlung. Glücklicherweise untermauern bereits erste Regelwerke, Standardisierungen und Vorschriften die Bedeutung von Cybersecurity. Es ist zu erwarten, dass gesetzliche Regelungen in diesem Bereich weiter zunehmen werden. Bei der Implementierung müssen die im Systemdesign identifizierten Schwachstellen durch sichere Programmierpraktiken abgesichert werden. Programmierregeln und Robustheit spielen dabei eine entscheidende Rolle.
Lösungsstrategien für eine elektrifizierte Zukunft
Auf dem Weg in eine revolutionäre, elektrifizierte Zukunft sind es die genannten integrierten Lösungsansätze, die eine schnelle, effiziente und sichere Umsetzung ermöglichen. Model-Based Design und KI werden zu tragenden Säulen der Entwicklung, die nicht nur die Grenzen zwischen verschiedenen Technologien und Herstellern überwinden, sondern auch einen nachhaltigen und sicheren Betrieb elektrischer Systeme sicherstellen. Mit diesen Werkzeugen und Methoden sind Ingenieure und Entwickler bestens gerüstet, um die Elektrifizierung voranzutreiben und die Weichen für eine umweltfreundlichere und technologisch intelligentere Welt zu stellen.
Bild:Frank Graeber, Manager Application Engineering bei MathWorks
Quelle:ALLISON