Berlin (dts Nachrichtenagentur) – Der wissenschaftliche Beirat beim Bundesfinanzministerium hat das Nebeneinander der verschiedenen Systeme der Grundsicherung in Deutschland massiv kritisiert. Wie „Bild“ (Montagausgabe) berichtet, fordert der Beirat von Finanzminister Christian Lindner (FDP) in einem Gutachten eine Vereinheitlichung und Vereinfachung der Leistungen.
Es gebe „fundamentale Probleme“ durch das Nebeneinander von Wohngeld und Kinderzuschlag auf der einen und Bürgergeld auf der anderen Seite, heißt es in dem Papier von 31 Professoren. Die daraus resultierenden unterschiedlichen Vorschriften für die Anrechnung von Einkommen seien „in hohem Maße intransparent und für den Einzelnen kaum nachvollziehbar“. So gebe es durch die Übernahme von Miet- und Heizkosten im Bürgergeld große regionale Unterschiede. Ein Single in Leipzig erhalte zum Beispiel zusammen mit dem Regelsatz bis zu 904 Euro monatliche Leistungen, in München aber bis zu 1447 Euro. Bei einer Alleinerziehenden mit einem Vorschulkind sind es in Leipzig maximal 1.524 und in München 2.217 Euro. Und ein Ehepaar mit zwei Schulkindern bekommt in Leipzig bis zu 2.375 Euro, in München dagegen 3.333 Euro im Monat – also fast 1.000 Euro mehr. Zudem biete das Bürgergeld durch die Hinzuverdienstregelungen zwar Anreize, eine Arbeit aufzunehmen. Ab einem Bruttoeinkommen von 1.200 Euro ohne Kinder und 1.500 Euro mit Kindern falle der Anreiz aber weg, „da dann sämtliche zusätzliche Einkommen mit dem Bürgergeld verrechnet werden“. Völlig unübersichtlich sei das Nebeneinander des Bürgergeldes und anderer Grundsicherungsleistungen wie Wohngeld und Kinderzuschlag. Steigt das Gehalt von Geringverdienern, nehmen sie besser bezahlte Jobs an oder ziehen sie in eine andere Region, können die Leistungen sinken, ganz wegfallen oder sie zu Bürgergeldempfängern werden. Für den Einzelnen sei „gar nicht mehr ersichtlich, welchen Anteil seines (zusätzlichen) Bruttoeinkommens er behalten kann und welchen nicht“, kritisiert der Expertenrat Lindners. Schon eine Mieterhöhung oder der Geburtstag eines Kindes und der damit verbundene Wechsel in eine andere Regelleistungsstufe könne dazu führen, dass Geringverdiener plötzlich vom einen in das andere Grundsicherungssystem wechseln müssten. „Damit sind sie mit wechselnden Ansprechpartnern in der Verwaltung konfrontiert und sehen sich immer wieder anderen Transferentzugsraten gegenüber.“ Akribisch rechnen die Professoren vor, wie sich die unterschiedlichen Systeme je nach Region auswirken. So habe ein Leipziger Alleinstehender, der Wohngeld bezieht, bei einem Bruttoeinkommen von 1.590 Euro knapp 150 Euro mehr für den alltäglichen Bedarf zur Verfügung als ein alleinstehender Münchner, der dort wegen der höheren Mietkosten Bürgergeld erhalten würde. Eine vierköpfige Leipziger Familie mit einem Bruttoeinkommen von 2.400 Euro habe deshalb monatlich sogar 611 Euro mehr als vergleichbare Münchner Haushalte.
Die Professoren fordern die Ampel-Regierung deshalb auf, das Nebeneinander der verschiedenen Grundsicherungsleistungen abzuschaffen und stattdessen ein einheitliches System einzuführen. Es soll sich weitgehend am bisherigen Bürgergeld orientieren. Aber die Wohn- und Heizkosten sollen einheitlich in einem Wohngeld geregelt werden. Dazu soll es eine einfache Kindergrundsicherung geben, in der das Kindergeld aufgeht.
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