Weimar, 14. Jan (Reuters) – Seit Wochen stand Verteidigungsministerin Christine Lambrecht in der Kritik. Aber als am Freitagabend bekannt wurde, dass sie beabsichtigt, Anfang nächster Woche zurückzutreten, überrascht dies doch viele in der SPD – vor allem wegen des Zeitpunkts. Dabei hatte Lambrecht nach Informationen von Reuters aus der SPD bereits im vergangenen Jahr die Entscheidung getroffen, im ersten Halbjahr 2023 zurückzutreten. Sie selbst, so heißt es, habe gemerkt, dass sie mit ihren Botschaften wegen der Kritik an ihrer Amtsführung nicht mehr durchdringe.
Doch der Zeitpunkt nur wenige Tage vor einem weiteren sogenannten Ramstein-Treffen der westlichen Verbündeten über Waffenlieferungen an die Ukraine habe viele in der Kanzlerpartei verblüfft. Denn für Kanzler Olaf Scholz kommt ein Abgang von Lambrecht eher zu einem schwierigen Zeitpunkt – weshalb er nach Reuters-Informationen auch versuchte, sie zum Bleiben zu bewegen.
Zwar hatte es auch Ampel-intern seit langem Murren gegeben, dass Lambrecht mit einem unglücklichen Auftreten eine Belastung für das Ansehen der Regierung sei. Aber Scholz hat an einer Kabinettsumbildung zum jetzigen Zeitpunkt eigentlich kein Interesse. Denn in wenigen Monaten steht höchstwahrscheinlich ohnehin die Frage an, was mit Innenministerin Nancy Faeser geschieht:
Nach der Hessen-Wahl im Herbst, bei der Faeser mutmaßlich als SPD-Spitzenkandidatin antritt, stellt sich die Frage, ob sie als Wahlsiegerin nach Wiesbaden wechselt – oder aber als Wahlverliererin im Bundeskabinett bleiben kann. Zusammen mit den Dauer-Debatten über die Eignung von Gesundheitsminister Karl Lauterbach als Minister und den hartnäckigen Gerüchten, dass Arbeitsminister Hubertus Heil auf einen anderen Kabinettsposten wechseln will, sprach dies nicht dafür, dass Scholz gerade jetzt einen der SPD zustehenden Posten neu besetzen wollte. Zudem pufferte eine loyale Lambrecht auch Kritik der Osteuropäer am Kanzler wegen als zu zögerlich empfundenen Waffenlieferungen ab.
LOYAL ODER HANDLUNGSSCHWACH?
In der Einschätzung, ob Scholz mit dem Festhalten an Lambrecht richtig gehandelt hat, gehen die Meinungen auseinander. Der parlamentarische Geschäftsführer der CDU/CSU-Bundestagsfraktion, Thorsten Frei, monierte Entscheidungsschwäche beim Kanzler, weil Lambrecht seit Monaten eine Belastung sei. CDU-Chef Friedrich Merz stößt ins selbe Horn. Und in der Ampel murren all die, die entweder Panzer-Lieferungen an die Ukraine fordern oder selbst Ambitionen auf einen Aufstieg haben. „Aber mit dem Festhalten an der Verteidigungsministerin hat der Kanzler ein Zeichen nach innen gesendet – er hält loyal zu Ministern, auch wenn sie in der Kritik stehen“, hält der Politologe Gero Neugebauer dagegen. Das sei wichtig für das Binnenklima zumindest in der SPD, die von den Koalitionspartnern Grünen und FDP ohnehin etwas genervt sei.
Mit dem Rückzug tue Lambrecht dem Kanzler aber nun einen Gefallen. Die aus Hessen stammende Ministerin könne nun den hessischen Landtagswahlkampf der SPD nicht mehr überschatten, sagt Neugebauer.
RÜCKZUG – ABER PROBLEME BLEIBEN
„Aber auch wenn Lambrecht geht – die Probleme von Scholz bleiben doch“, sagt CDU-Politiker Frei zu Reuters. Tatsächlich muss Scholz nun schnell einen Ersatz im Kabinett finden. Die Wehrbeauftragte Eva Högl und die parlamentarische Staatssekretärin im Verteidigungsministerium, Siemtje Möller, werden als Namen gehandelt. Auch SPD-Chef Lars Klingbeil gilt als potenziell fähiger Verteidigungsminister – ist aber ein Mann. Und Scholz hatte die Parität im Kabinett versprochen. Käme Klingbeil für Lambrecht, wäre ein größerer Ringtausch im Kabinett nötig.
Außerdem: Mit dem Abgang Lambrechts sinkt der Druck auf den Kanzler in der Panzer-Debatte nicht. Am Freitag hat er nochmals betont, dass er sich auch von aufgeregten europa- und innenpolitischen Debatten nicht zu einer schnellen Entscheidung über Leopard-2-Lieferungen an die Ukraine treiben lassen wolle. Man sei erst in der vergangenen Woche mit der Lieferung der Schützenpanzer Marder einen qualitativ neuen Schritt gegangen. Scholz besteht auf eine vorherige Abstimmung mit den USA, die unbedingt an Bord sein sollen.
Mit dem Abgang Lambrechts, die nach Reuters-Informationen hinter den Kulissen auch für einen offensiveren Kurs bei den Waffenlieferungen gewesen wäre, spitzt sich die Entscheidung aber noch mehr zu einem reinen Kanzler-Votum in der Leopard-Frage zu. Die Koalitionspartner Grüne und FDP haben sich längst abgesetzt. Und auch in der SPD stellt man sich die Frage, ob Scholz eine Nachfolgerin oder einen Nachfolger überhaupt in die Ramstein-Gespräche mit den Alliierten mit einer klaren Ablehnung der Leopard-2-Lieferungen an die Ukraine schicken könnte – und damit in einen möglicherweise schwierigen Start ins neue Amt.
Lambrecht-Rückzug löst Scholz-Probleme nicht
Quelle: Reuters
Symbolfoto
Hier findet ihr die aktuellen Livestream-Folgen. Mehr aus Web3, NFT und Metaverse.