Berlin, 30. Mrz (Reuters) – Niedrigere Benzin- und Heizölpreise drücken die Inflation in Deutschland auf den tiefsten Stand seit August 2022. Waren und Dienstleistungen kosteten im März durchschnittlich 7,4 Prozent mehr als ein Jahr zuvor, wie das Statistische Bundesamt am Donnerstag in einer ersten Schätzung mitteilte.
Im Januar und Februar hatte die Teuerung noch jeweils bei 8,7 Prozent gelegen. Von der Nachrichtenagentur Reuters befragte Ökonomen hatten einen Rückgang auf 7,3 Prozent erwartet. Analysten sagte zu den Daten in ersten Reaktionen:
SEBASTIAN DULLIEN, GEWERKSCHAFTSNAHES IMK-INSTITUT:
„Das dürfte der erste Schritt eines nachhaltigen Abwärtstrends bei den Teuerungsraten in Deutschland sein. In den kommenden Monaten ist nun mit einem weiteren, kontinuierlichen Rückgang der Inflationsraten zu rechnen. Vergleichsweise hoch sind dagegen noch die Inflation bei Nahrungsmitteln, aber auch die Kerninflation ohne Energie und Lebensmittel. Bei letzterer sehen wir derzeit noch nachlaufende indirekte Effekte, etwa weil die Gastronomie ihre Preise erhöht, weil Heiz- und Kochenergie ebenso teurer geworden sind wie die Zutaten für die Gerichte. Mit weiter fallendem Preisdruck bei Energie und Vorleistungen ist im Jahresverlauf auch ein Rückgang der Kerninflation zu erwarten. Von den aktuellen Lohnabschlüssen geht kein weiterer Druck hin zu wieder steigender Inflation aus. Trotzdem dürfte die Europäische Zentralbank von der hohen Kerninflation beunruhigt sein. Es besteht deshalb das Risiko, dass die EZB die Zinsen übermäßig weiter anhebt und damit ohnehin schwelende Verwerfungen an den Finanzmärkten verstärkt. Die Notenbank hatte bereits 2008 unnötig und in die damalige Krise hinein die Zinsen noch einmal erhöht. Es bleibt zu hoffen, dass die Notenbank aus den damaligen Fehlern gelernt hat.“
JÖRG ZEUNER, CHEFÖKONOM UNION INVESTMENT:
„Das ist doch mal eine gute Nachricht. Was waren die Gründe dafür? Verantwortlich waren ausschließlich die Energiepreise. Der Wermutstropfen: Bei vielen wichtigen anderen Preisbestandteilen wie etwa Lebensmitteln, weiteren Gütern und Dienstleistungen zeigt der Trend nach wie vor nach oben. Gründe dafür sind unter anderem erhöhte Inputkosten, aber auch höhere Lohnkosten – gerade bei den Dienstleistungen. Die Kernrate ohne die schwankungsanfälligen Energie- und Lebensmittelpreise bleibt dadurch hartnäckig hoch. Deshalb dürften die Währungshüter bei der EZB den Fuß auf dem Bremspedal halten und die Zinsen bis in den Sommer noch um 0,75 Prozentpunkte erhöhen. Vorausgesetzt, die Diskussionen um das Bankensystem hören auf, bevor sie Kredit- und Einlagenkunden weiter verunsichern.“
JENS-OLIVER NIKLASCH, LBBW:
„Der Anstieg der Energiepreise ist zum jeweiligen Vormonat regelrecht zusammengeschnurrt. Das erklärt den jetzt beobachteten deutlichen Rückgang. Für die übrigen Gütergruppen hat sich eigentlich nicht viel verändert. Essen wird teurer, Reisen wird teurer, Wohnen bleibt teuer. In den kommenden Monaten dürfte die Inflationsrate aufgrund des Effektes der Energiepreise zwar noch etwas nachlassen, aber der Preisdruck bei den Nicht-Energiegütern wird wohl noch anhalten. Wir hoffen, dass bis Ende des Jahres höchstens eine Drei vor dem Komma steht.“
THOMAS GITZEL, CHEFVOLKSWIRT VP BANK:
„Gerade weil die Teuerung zunehmend den Dienstleistungssektor erfasst, ist für die EZB die Arbeit auch noch nicht beendet. Die EZB machte zuletzt auch darauf aufmerksam, dass sie vor allem auf die Kerninflationsrate achtet. Mit den Turbulenzen am Bankenmarkt kam aber für die europäischen Währungshüter noch eine weitere wichtige Beobachtungsgröße hinzu. Christine Lagarde erwähnte auf der letzten Pressekonferenz im Anschluss an den Zinsentscheid, dass die Kreditvergabe im Bankensektor genau beobachtet würde. Tatsächlich würde eine restriktivere Kreditvergabe einen Teil der EZB-Arbeit erledigen. Allerdings heißt dies auf der anderen Seite auch nicht, dass die europäischen Währungshüter im Falle einer zurückhaltenderen Kreditvergabe der Banken die Hände in den Schoß legen können. Weitere Zinsanhebungen werden notwendig sein, um die Inflation in den Griff zu bekommen.“
JÖRG KRÄMER, CHEFÖKONOM COMMERZBANK:
„Die Inflationsrate ist im März deutlich gefallen, weil der starke Anstieg der Energiepreise nach Beginn des Ukraine-Kriegs aus dem Vorjahresvergleich herausgefallen ist. Aber die Inflation ohne Energie und Nahrungsmittel ist nach unserer Schätzung weiter von 5,7 Prozent auf 5,9 Prozent gestiegen. Der unterliegende Preisanstieg ist noch immer sehr hoch. Dabei dürfte es noch lange bleiben. Schließlich rollt mit dem absehbaren starken Anstieg der Löhne eine neue Kostenwelle auf die Wirtschaft zu. Viele EZB-Ratsmitglieder betonen zurecht, dass weitere Zinserhöhungen notwendig sind.“
MICHAEL HEISE, CHEFÖKONOM HQ TRUST:
„Für den Verbraucher ist es im Grunde wichtiger, was von Monat zu Monat passiert. Und hier ist die Teuerung noch immer recht hoch. Obwohl sich Kraftstoffe und Heizöl etwas verbilligt haben, ist das Preisniveau im März um 0,8 Prozent gegenüber Februar gestiegen. Klingt nicht nach viel, ist aber viel, wenn man es auf das Jahr hochrechnet. Positiv dürfte es sich auswirken, dass die Lieferengpässe und Materialknappheiten in vielen Bereichen überwunden sind, die in den vergangenen Jahren für beträchtliche Preissteigerungen gesorgt hatten. Zusammen mit den Preiskorrekturen an den Energiemärkten dürfte die Inflationsrate in den kommenden Sommermonaten in Richtung sechs Prozent und im vierten Quartal in Richtung vier Prozent tendieren.“
Deutsche Inflationsrate sinkt im März auf 7,4 Prozent
Quelle: Reuters
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