Studie zeigt: Mehr als zwei Drittel der deutschen Arbeitnehmenden vertrauen im Job auf den Faktor Mensch
„Gefahr durch KI: Expert*innen warnen vor Auslöschung der Menschheit“: Wer aktuell einen Blick in die Medien wagt, findet sich beim Thema Künstliche Intelligenz (KI) schnell mit dystopischen Zukunftsvisionen à la Skynet oder Matrix konfrontiert. In eine tiefe existenzielle Krise stürzen solche vagen Kassandrarufe deutsche Arbeitnehmende trotzdem nicht. Im Gegenteil: Eine aktuelle Studie von YouGov im Auftrag des Project Management Institutes (PMI) zeigt, mehr als zwei Drittel der Erwerbstätigen fühlen sich auf die Herausforderungen der Digitalisierung gut vorbereitet (69%) und machen sich keine Sorgen darüber, dass ihre Jobs von KI übernommen werden (77%). Vielmehr glauben sie an den Faktor Mensch – was steckt dahinter?
Nicht der Zukunft, sondern der Gegenwart gehört die KI
Dienste wie ChatGPT haben KI in den vergangenen Monaten als vermeintliche Zukunftstechnologie verstärkt in den Fokus der Öffentlichkeit gerückt. Dabei kommen clevere Maschinen, Methoden und Tools in zahlreichen Branchen seit geraumer Zeit zum Einsatz. Bereits der 2018 veröffentlichte Bericht zu Next Practices von PMI zeigte, dass Organisationen mit einer ausgereiften Strategie für die digitale Transformation mehrheitlich auf dem Standpunkt stehen, die Einführung disruptiver Technologien wie Cloud Computing oder künstliche Intelligenz trage zu einer erheblichen Verbesserung bei der Erreichung oder Übererfüllung von Geschäftszielen bei.
Auch deutsche Unternehmen wie Zalando haben das für sich erkannt und verwenden beispielsweise clevere Empfehlungsalgorithmen für personalisiertes Marketing. In der Finanzbranche spielen intelligente Systeme eine große Rolle bei der Überwachung von Zahlungsströmen, der Identitätsprüfung der Kundschaft oder beim Aktienhandel. Als Allzweckwerkzeug findet KI bei maschinellen Übersetzungen, vorausschauender Wartung oder im Lieferkettenmanagement bereits Verwendung.
Entsprechend verwundert es nicht, dass gemäß einer Umfrage der Deutschen Industrie- und Handelskammer (DIHK) im Februar 2023 branchenübergreifend rund 14 % der mehr als 1.000 befragten Betriebe KI bereits einsetzen. Dieser Trend hin zu mehr intelligenter Technologie spiegelt sich weltweit auch im Projektmanagement wider. Laut aktuellem PMO Maturity Report im Juli 2021 von PMI und PwC setzen die Top zehn Prozent der leistungsstärksten Projektbüros auf die neusten Tools und Technologien zur Verbesserung der Zusammenarbeit, für erhöhte Transparenz und zum einfacheren Wissensaustausch – Cloud Computing, Datenanalyse (65%) und Automatisierungslösungen (59%) inklusive.
Die Pandemie fungierte dabei als Katalysator und veränderte die Art und Weise, wie Menschen, Maschinen und Organisationen miteinander arbeiten grundlegend. So haben sich laut Global Megatrends Report des führenden Verbands für Projektfachleute Unternehmen nicht nur beeilt, neue virtuelle Angebote auf den Markt zu bringen, sondern etwa auch in KI investiert, um Fähigkeiten wie Entscheidungsfindung, Datenanalyse und Wissensmanagement zu verbessern.
Bis 2026, so lautet die Prognose, wird der Einsatz fortschrittlicher Technologien mit künstlicher Intelligenz weiter zunehmen und sich im Vergleich zu 2021 (21%) fast verdoppeln (49%). Im „Future of Jobs Report 2023“ des World Economic Forums gaben jüngst sogar rund drei Viertel der befragten Unternehmen an, entsprechende Technologien bis 2027 einsetzen zu wollen.
Mehr KI wagen
Ziel ist es dabei, mithilfe von KI-gestützten Tools in bestimmten Bereichen menschliche Fähigkeiten zu ergänzen oder sogar zu übertreffen. Entsprechend ändern sich Anforderungen und Jobprofile. Ein Beispiel: Eine wesentliche Stärke von KI ist es, sehr spezifische Aufgaben, die Menschen vorab definieren, deutlich schneller, effizienter und akkurater zu erledigen als sie es selbst tun. Large Language Models (LLMs) wie ChatGPT erlauben es, Projektleitenden alle relevanten Daten für den Fortschritt eines Projekts, von Zeitplänen über Budgets hin zu anderen Ressourcen, immer im Blick zu behalten.
Auf diese Weise verringert sich ihre Arbeitsbelastung, was dazu beitragen kann, Projekte erfolgreich und reibungslos ins Ziel zu bringen. Bekommt das Tool zudem noch Zugang zu Analysedaten vergangener Projekte, Kalendern und E-Mails, kann es helfen, realistische Zeitpläne zu entwickeln, Prioritäten zu setzen, Ressourcen effizient zuzuweisen sowie eine Risikobewertung vorzunehmen.
Außerdem lässt sich der Bot darauf trainieren, Projektdaten wie KPIs, Zeitpläne oder Budgetinformationen bei seinen Empfehlungen zu berücksichtigen und wiederkehrende Muster oder Tendenzen zu identifizieren, die menschliche Analysen übersehen haben. Dadurch lassen sich nicht nur potenzielle Hindernisse frühzeitig erkennen und fundierte Entscheidungen treffen, um etwa bei Problemen rechtzeitig gegenzusteuern, sondern auch Strategien optimieren und Stakeholderbedürfnisse besser verstehen.
In dem Maße, wie sich die Technologie verbessert und Unternehmen hier Vertrauen fassen, werden Aufgaben der Projektverwaltung zunehmend an KI-gestützte Tools übergeben. Dieser Wandel spiegelt nicht etwa menschliches Unvermögen wider, sondern vielmehr die Erkenntnis, dass Software diese Aufgabe schnell, ohne Zögern, mögliche Vorurteile oder persönliche Neigung übernimmt.
Dank einer zentralen Plattform zum Teilen von Ideen, Daten und Informationen, erweist sich die Applikation zudem als nützliches Tool, um die Zusammenarbeit zu erleichtern. Anstatt aufwendig zwischen verschiedenen Anwendungen zu wechseln, um sich mit dem eigenen Projektteam auszutauschen, bietet ChatGPT alles aus einer Hand, was maßgeblich dazu beiträgt den Überblick zu behalten.
Das heißt also nicht automatisch, dass Menschen in der Arbeitswelt und in der Projektarbeit im Speziellen überflüssig werden. Im Gegenteil: Projektmanagement ist ein People Business. Es geht nicht nur darum, in möglichst kurzer Zeit und mit möglichst geringem Ressourcenaufwand ein fixes Ziel zu erreichen. Vielmehr dreht sich beim Projektmanagement alles darum, andere zu motivieren ihr Bestes zu geben sowie ein wertschätzendes Arbeitsumfeld zu schaffen, in dem Fehler und Probleme offen zur Sprache kommen.
Insbesondere bei Projektleadern sind dabei Soft Skills wie Kommunikation oder problemlösungsorientiertes Denken die eigentlichen Power Skills, die Teams zum Erfolg führen. Das bestätigt auch die Pulse-of-the-Profession-Umfrage von PMI. Hier gaben 90 Prozent der weltweit mehr als 3.500 befragten Fachleute an, dass es die vermeintlich weichen Fähigkeiten sind, die ihnen helfen, Teams erfolgreich zu führen, diverse Interessengruppen einzubinden und Herausforderungen zu bewältigen.
(K)ein Schreckgespenst KI
Die Bedeutung von solchen übertragbaren Kenntnissen erkennen branchenübergreifend auch deutsche Erwerbstätige. Unter anderem sind es diese vermeintlich weichen Fähigkeiten, die es ihnen erlauben optimistisch in die Zukunft zu blicken. Das geht aus der aktuellen YouGov-Umfrage für PMI im Juni 2023 hervor. Ein Viertel der 515 für die Studie befragten Arbeitnehmenden fühlt sich persönlich ausreichend auf künftige Herausforderungen im Job vorbereitet – selbst, wenn sie sich mit Digitalisierung oder KI konfrontieret sehen.
Neben ihrem aktuellen Kenntnisstand vertrauen sie dabei vor allem auf Weiterentwicklungsmöglichkeiten im Job. Fast die Hälfte der Studienteilnehmenden (41%) gab an, dass ihre Arbeitgeber sie dabei unterstützen, wenn es darum geht mit aktuellen Entwicklungen Schritt zu halten. Neben digitalem oder technischem Know-how (57%) sowie fachspezifischem Wissen (68%) stehen vor allem Trainings zu übertragbaren Fähigkeiten hoch im Kurs.
Als „(sehr) wichtig“ gelten deutschen Arbeitnehmenden dabei Weiterbildungsmöglichkeiten im Projektmanagement (31%), Power Skills wie Kommunikation oder problemlösendes Denken (38%), Agiles Arbeiten (35%) und kollaborative Führungskräfteentwicklung (29%) – alles Fähigkeiten, die eine Künstliche Intelligenz auf absehbare Zeit vermutlich nicht ersetzen kann. Kein Wunder, dass vor allem junge Arbeitnehmende Schulungsmöglichkeiten in diesem Bereich aktiv einfordern.
Für „(sehr) wichtig“ halten sie dabei Projektmanagementfähigkeiten (Gen Z: 62%; Gen Y: 45%), Power Skills (Gen Z: 58%; Gen Y: 54%), Agiles Arbeiten (Gen Z: 58%; Gen Y: 50%) und kollaborative Führungskräfteentwicklung (Gen Z: 53%; Gen Y: 50%). Eines von zwei Nachwuchstalenten (48% Gen Z und Gen Y) vertraut dabei darauf, dass ihre Arbeitgebenden sie durch persönliche Karriereplanung und individualisierte Entwicklungsmöglichkeiten unterstützen.
Etwa die andere Hälfte ist bereit, außerhalb ihrer Arbeitszeiten eigene Ressourcen zu investieren, um berufliche Fähigkeiten zu verbessern – insbesondere, wenn ihnen wie bei 39% des Zoomer-Nachwuchses im Arbeitsalltag die Zeit fehlt, ihnen keine ausreichenden Informationen über das unternehmensinterne Weiterbildungsangebot vorliegen (Gen Z: 38%; Gen Y: 36%) oder ihnen keine Möglichkeiten zur Entfaltung und Weiterbildung angeboten werden (Gen Z: 44%; Gen Y: 33%).
Insbesondere Letzteres hat bei jungen Talenten potenziell weitreichende Folgen. Kommen Schulungsmöglichkeiten im Beruf zu kurz, steigt die Wechselbereitschaft. Immerhin 39% der teilnehmenden Zoomer geben an, dass sie es in Betracht ziehen, in den nächsten sechs Monaten zu kündigen, weil ihnen in ihrem aktuellen Job keine entsprechenden Weiterbildungsoptionen eingeräumt werden. Hier sind Unternehmen angehalten, eine Kultur zu etablieren, in der Lernen fester Teil des Alltags ist und Wissen über Hierarchie- und Abteilungsgrenzen hinweg geteilt werden kann – neue Tools, Methoden und Mindset inklusive. Mit dem Aufkommen der KI ist die Weiterentwicklung von Projektmanger*innen hin zu Projektleadern der Schlüssel zum Projekterfolg.
Autor
Sandra Deichsel ist Strategy Lead für Deutschland beim Project Management Institute (PMI). PMI ist der weltweit führende Berufsverband für Projektmanger*innen und vereint eine wachsende globale Gemeinschaft aus Millionen von Projektfachleuten und Changemakern. Durch ihre langjährige Erfahrung als Projekt- und Programmmanagerin sowie Dozentin in diversen inner- und außereuropäischen Ländern weiß Sandra Deichsel, wie wichtig das projektbasierte Arbeiten im Team für Unternehmen und Organisationen ist. Hierbei steht für sie besonders die kontinuierliche Weiterentwicklung von Mitarbeitenden nach aktuellen Lehr- und Wissensstandards im Vordergrund.
Aussagen des Autors und des Interviewpartners geben nicht unbedingt die Meinung der Redaktion und des Verlags wieder.