Donnerstag, Dezember 19, 2024
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Hinweise auf russische Kriegsverbrechen im Nordosten der Ukraine

Kiew/Genf, 16. Sep  – In den von der ukrainischen Armee zurückeroberten Gebieten im Nordosten des Landes mehren sich die Hinweise auf Kriegsverbrechen russischer Besatzer. In einem Massengrab in der Stadt Isjum seien Leichen mit auf dem Rücken gefesselten Händen gefunden worden, teilte der Gouverneur der Region Charkiw, Oleh Synjehubow, am Freitag mit. „Nach unseren Informationen weisen alle Bestatteten Anzeichen eines gewaltsamen Todes auf.“ Der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj sagte Reuters, es seien an mehreren Stellen ganze Familien und Menschen mit Folterspuren verscharrt worden. Es gebe Hinweise auf von russischen Soldaten verübte Kriegsverbrechen. Der Menschenrechtsbeauftragte des ukrainischen Parlaments, Dmytro Lubinez, nannte am Freitag eine Zahl von mehr als 1000 Menschen, die in den russisch besetzten Gebieten der Region Charkiw gefoltert und getötet worden seien.

Bei den über 440 Leichen in dem Massengrab in Isjum handelt es sich nach Angaben von Polizeichef Ihor Klymenko überwiegend um Zivilisten. Die menschlichen Überreste würden exhumiert. Das Menschenrechtsbüro der Vereinten Nationen (UN) will Beobachter nach Isjum senden. „Sie wollen sich dorthin begeben, um mehr darüber herauszufinden, was passiert sein könnte“, sagte Sprecherin Liz Throssell in Genf. 

Augenzeugen zufolge wurden in Isjum zudem rund 200 Holzkreuze entdeckt, die auf ein zweites Massengrab hindeuten könnten. Tausende russische Soldaten sind wegen der ukrainischen Offensive am vergangenen Wochenende aus der Stadt geflohen. Selenskyj verglich die Entdeckung des Massengrabs mit den Ereignissen im Februar in Butscha, einem Vorort der Hauptstadt Kiew. Ukrainischen Soldaten hatten dort nach dem Abzug russischer Truppen handfeste Hinweise auf Kriegsverbrechen gefunden. „Russland hinterlässt überall den Tod und muss dafür verantwortlich gemacht werden“, sagte Selenskyj in seiner täglichen Videoansprache. 

„Monatelang herrschten in den besetzten Gebieten Terror, Gewalt, Folter und Massenmorde“, twitterte Selenskyj-Berater Mychajlo Podoljak zu Fotos eines Waldes, in dem zahlreiche Holzkreuze in frischem schlammigem Boden standen. Eine riesige Grube war mit rot-weißem Tatortband markiert. „Will noch jemand ‚den Krieg einfrieren‘, anstatt Panzer zu schicken? Wir haben kein Recht, die Menschen mit dem Bösen allein zu lassen“, schrieb Podoljak. 

Russlands Präsident Wladimir Putin erwähnte die Berichte beim Gipfeltreffen der Shanghaier Organisation für Zusammenarbeit in Usbekistan mit keinem Wort, sondern gab sich trotz der jüngsten Niederlagen seiner Armee betont gelassen. Man übernehme allmählich die Kontrolle über das ukrainische Gebiet, erklärte er. Das wichtigste Ziel Russlands bleibe unverändert: Die ganze Donbass-Region zu „befreien“. Er verwies darauf, dass die Regierung in Kiew eine Offensive angekündigt habe. „Lasst uns sehen, wie das endet.“ Er räumte ein, Russland habe Rückschläge einstecken müssen und warnte, wenn sich diese Entwicklung fortsetze, würden die Reaktionen darauf „ernster“ ausfallen.

AUCH TOTE ZIVILISTEN IN CHARKIW

Dem Polizeichef Klymenko zufolge sind in der vergangenen Woche auch in der Region Charkiw bisher etwa 50 tote Zivilisten gefunden worden. Zudem sollen sieben Studenten aus Sri Lanka in der Stadt Wowtschansk nahe der russischen Grenze eingesperrt und gefoltert worden. Er sagte, ihre Fingernägel seien mit einer Zange herausgezogen worden. Reuters konnte den Bericht nicht unabhängig überprüfen.

Nach einer Woche mit schnellen Fortschritten im Nordosten haben ukrainische Offizielle die Erwartungen zu dämpfen versucht, dass sie weiterhin in diesem Tempo vorrücken könnten. Russische Truppen, die aus der Region Charkiw geflohen sind, sollen sich nun verschanzt haben und planen, Gebiete in den Nachbarprovinzen Luhansk und Donezk zu verteidigen. „Es ist natürlich äußerst ermutigend zu sehen, dass die ukrainischen Streitkräfte in der Lage waren, Territorium zurückzuerobern und auch hinter die russischen Linien zu stoßen“, sagte Nato-Generalsekretär Jens Stoltenberg der BBC. „Gleichzeitig müssen wir verstehen, dass dies noch nicht der Anfang vom Ende des Krieges ist. Wir müssen auf einen langen Zeitraum vorbereitet sein.“

Die Ukraine meldete zuletzt neue russische Angriffe auf Charkiw und die Umgebung der Stadt im Osten der Ukraine. Auch die weiter nördlich, ebenfalls an der Grenze zu Russland gelegene Region Sumy wurde örtlichen Behörden zufolge beschossen. Mehr als 90 Raketen und Artilleriegeschosse seien gezählt worden, erklärt der Gouverneur von Sumy, Dmytro Schywyzkyj.

Der Ukraine selbst soll ein Schlag gegen die selbsternannte Volksrepublik Luhansk gelungen sein. Deren Generalstaatsanwalt Sergej Gorenko und dessen Stellvertreter wurden einem Bericht der Nachrichtenagentur Interfax zufolge bei einer Bombenexplosion in seinem Büro getötet. Von Russland unterstützte Separatisten in der südukrainischen Stadt Cherson wiederum berichteten von Angriffen durch ukrainische Streitkräfte auf Regierungsgebäude. Dabei seien mindestens eine Person getötet und weitere verletzt worden.

Hinweise auf russische Kriegsverbrechen im Nordosten der Ukraine

Quelle: Reuters

Titelfoto: Symbolfoto

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