Donnerstag, Dezember 19, 2024
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Hintergrund: „Festkleben war gestern“ – Lindner schwört FDP auf 2023 ein

Stuttgart, 06. Jan – Nach außen hin geben sich die FDP-Granden beim traditionellen Dreikönigstreffen in Stuttgart zum Jahresauftakt demonstrativ gelassen. Doch es ist den Spitzen der Liberalen anzumerken, dass sie auch mit einigem Misstrauen auf das neue Jahr blicken, in dem gleich vier Landtagswahlen anstehen. Die Erfahrungen des vergangenen Krisen- und Kriegsjahres haben ihre Spuren hinterlassen. Die FDP ist bemüht, ihr Profil innerhalb der Ampel-Koalition mit SPD und Grünen zu schärfen. Und der erste Test steht unmittelbar bevor: Am 12. Februar wird die Wahl zum Berliner Abgeordnetenhaus wiederholt, und Umfragen zufolge ringt die FDP um den Wiedereinzug ins Hauptstadt-Parlament.

„Festkleben war gestern, anpacken ist jetzt das Gebot der Stunde“, ruft FDP-Chef Christian Lindner in seiner Rede in den Saal des Stuttgarter Opernhauses, in Anspielung an die Aktionen der Letzten Generation für den Klimaschutz, und erntet dafür lang anhaltenden Applaus. Das Thema Bildung und Ausbildung soll dabei für die Regierungspartei FDP in diesem Jahr ganz oben stehen. Dafür schlägt der Bundesfinanzminister eine Bildungs-Milliarde vor, um in die Zukunft der jüngeren Generationen zu investieren. Jeder müsse seine individuelle Lebenschance erhalten, und dafür stehe die FDP. 

Dass seine rund einstündige und wie immer frei gehaltene Rede gleich am Anfang von Aktivisten der Letzten Generation gestört wird, scheint Lindner dabei gar nicht so ungelegen zu kommen. Der FDP-Chef redet eingangs davon, wie wichtig es sei, kein Objekt des Schicksals zu sein, sondern sein Leben selbst in die Hand zu nehmen und nehmen zu können. Da erhebt sich plötzlich eine Gruppe jüngerer Personen von den Sitzen des zweiten Rangs links aus Lindners Sicht. Etwas mühsam entfalten sie ein Transparent mit der Aufschrift „Klimakollaps = Wirtschaftskollaps“ und skandieren lautstark. 

„In die Hitparade kommen Sie damit nicht“, reagiert Lindner spöttisch und erntet die Lacher seiner Fans im Saal. Dann fügt er hinzu: „Mein Angebot an Euch, klebt Euch fest, nehmt viel Kleber, denn wenn ihr hier klebt, könnt ihr niemanden behindern.“ Er empfehle den Aktivisten: „Ihr gründet eine Partei und sucht Euch demokratische Mehrheiten, so halten wir es nämlich in der Demokratie.“ Mit der Aktion findet Lindner eine Art Leitmotiv für seine Rede, ob er diese vorher schon hatte, muss hier offenbleiben. Später in seiner Rede betont er mit Blick auf die Bedeutung von Bildung und Ausbildung und den Mangel von Fachkräften: „Man kann nicht nur für den Klimaschutz demonstrieren, irgendjemand muss ihn auch montieren können.“

„DA GEHT WAS“

Insgesamt sei die Stimmung in der Partei gut, so ist in ranghohen FDP-Kreisen zu hören. Es gebe weder einen Streit um die inhaltliche Ausrichtung noch über das Personal. Auch die Umfragen im Bund seien gemessen an einem Jahr Regierungsarbeit im Krisenmodus mit rund sieben Prozent in Ordnung. Doch die Ergebnisse der Landtagswahlen 2022, vor allem das Scheitern an der Fünf-Prozent-Hürde in Niedersachsen, steckt den Liberalen noch in den Knochen. Es kann letztlich ein schmaler Grat sein, der über Wohl und Wehe unterscheidet. In Niedersachsen bauten die Liberalen bei der Wahl im vergangenen Oktober mit Blick auf drohende Energieengpässe ganz auf das Thema Atomkraft und scheiterten kläglich. 

Umso verwunderlicher, dass die Partei dieses Thema nun erneut aufgreift. Seit ein paar Tagen melden sich fast täglich ranghohe FDP-Vertreter mit der Forderung, die Laufzeiten der drei noch am Netz befindlichen Atomkraftwerke in Deutschland erneut zu verlängern. In Stuttgart greift FDP-Generalsekrätar Bijan Djir-Sarai das Thema auf. Es müsse angesichts der hohen Energiepreise „ohne Denkverbote und Ideologie“ gehandelt werden, sagt Djir-Sarai vor allem an die Adresse der Grünen. Im übrigen sei dies auch eine Frage der europäischen Solidarität. „Niemand in Europa kann verstehen, was wir hier machen“, sagt er mit Blick auf die Entscheidung der Bundesregierung, die drei Atomkraftwerke zum 15. April stillzulegen.

Lindner greift das Thema in seiner Rede erstaunlicherweise nicht auf. Er beschwört stattdessen den Erfolg der Liberalen in der Regierung und zitiert die Wirtschaftszeitung „Economist“, die Deutschland bescheinigt habe, vergleichsweise gut durch die Krise gekommen zu sein. Das sei es, worauf es letztlich ankomme, und die Freien Demokraten würden ihrer staatspolitischen Verantwortung gerecht, „Schaden von diesem Land abzuwenden“. Es gehe letztlich aber immer auch um eine Entscheidung über Werte: Freiheit und Individuum bei der FDP und Gleichheit und Kollektiv bei den anderen, betont der FDP-Chef. Und auf eines könnten sich die Menschen verlassen: „Die Freien Demokraten, sie sind die Kraft der Freiheit und des Fortschritts.“

Sebastian Czaja, Spitzenkandidat der FDP in Berlin, wird versuchen, den Schwung von Stuttgart mit in seinen Wahlkampf zu nehmen. „Noch nie hat Scheitern so viele Chancen eröffnet“, sagt er im Opernhaus mit Blick auf seine Stadt Berlin und einen möglichen Wechsel an der Spitze des Senats. „Da geht was“, gibt sich Czaja kämpferisch. Die Spitzenkandidaten der FDP in Bremen, Bayern und Hessen, wo dieses Jahr ebenso gewählt wird, dürften ähnliche Hoffnungen haben.

Hintergrund: „Festkleben war gestern“ – Lindner schwört FDP auf 2023 ein

Quelle: Reuters

Symbolfoto: Bild von Andreas auf Pixabay

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