Berlin, 23. Apr – Die FDP fühlt sich wieder stark. Nach einer ganzen Reihe von Schlappen bei Landtagswahlen im vergangenen Jahr sehen die Liberalen zuversichtlicher auf 2023: „Wir kämpfen für den Wert der Freiheit, für wirtschaftliche Vernunft, faire Lebenschancen und ein modernes, nicht linkes Deutschland“, ruft Parteichef Christian Lindner den Delegierten des 74. Ordentlichen Parteitags in Berlin in seiner Rede vor der Wiederwahl zu. Motto des Parteitags ist „Machen, was wichtig wird“. Lindner übersetzt das mit den Worten: „Der Auftrag ist eben noch nicht erfüllt. Wir stehen gemeinsam erst am Anfang.“
Rückenwind bekommt die Partei vor allem durch jüngste Umfragen, wonach sie im Bund stabil zwischen sieben und acht Prozent liegt. Das Meinungsforschungsinstitut Insa prognostiziert in einer aktuellen Erhebung im Auftrag von „Bild am Sonntag“ aktuell sogar neun Prozent für die FDP. Die nächste Bewährungsprobe aber steht bevor: Am 14. Mai ist Bürgerschaftswahl in Bremen. In der Hansestadt spielen die Liberalen zwar traditionell keine große Rolle. Sollten sie den Wiedereinzug ins Parlament aber verpassen, wäre der Jammer gleich wieder groß. Zuletzt machte die FDP aber in Umfragen dort zwei Punkte gut und steht derzeit bei sechs Prozent. „Ich schaue (…) zu euch nach Bremen, Thore“, ruft Lindner Spitzenkandidat Thore Schäck zu und stellt zufrieden fest: „Die Richtung stimmt.“
„VERBOT DES VERBRENNERVERBOTS“
Dass das auch bundesweit so ist, führt die FDP-Spitze vor allem auf die jüngsten Entwicklungen in der Klima- und Energiepolitik zurück. Der Partei ist es wichtig, die Menschen trotz aller Dringlichkeit beim Klimaschutz mitzunehmen. Und sie vertraut naturgemäß auf das freie Spiel der Kräfte: „Technologieoffenheit“ heißt das Zauberwort. So sorgte die FDP in Europa für ein „Verbot des Verbrennerverbots“, wie es Lindner nennt und lobt dafür ausdrücklich seinen Parteifreund und Verkehrsminister Volker Wissing. Der setzte durch, dass die Motoren mit klimafreundlichen E-Fuels auch weiterhin genutzt werden können. Beim Wahlvolk kam die Haltung mitunter gut an.
Auch in der Atomdebatte weiß die FDP in ihrer Haltung eine Mehrheit der Deutschen hinter sich. Eine Rückkehr zur Atomkraft mittels Kernspaltung lehnen die Freien Demokraten ab. Aber: „Ich bin etwas bekümmert, dass wir in Deutschland nun mehr Kohle verfeuern müssen, um schneller sichere, saubere Kernkraftwerke abschalten zu müssen“, sagt Lindner und fügt sogleich mit Blick auf SPD und Grüne hinzu: „Aber das ist eine Koalition. So sind Koalitionen.“ Damit nahm er Bestrebungen auf dem Parteitag, die Entscheidung der Bundesregierung anfechten zu wollen, sogleich den Wind aus den Segeln.
Auch der aktuelle Heizungsstreit spielt der FDP in die Karten. Nach der verunglückten Kommunikation aus dem Wirtschaftsministerium von Robert Habeck (Grüne) schreiben sich die Liberalen jetzt schon auf die Fahnen, das aus ihrer Sicht Schlimmste verhindert zu haben, so dass niemand gezwungen wird, schon bald eine klimaneutrale Heizung einbauen zu lassen. Der Gesetzentwurf liegt nun vor, und die FDP-Fraktion hat es sich zum erklärten Ziel gemacht, die Vorlage im parlamentarischen Verfahren noch zu ändern. „Technologieoffenheit“ auch hier das Zauberwort.
So wollen die Liberalen sicherstellen, dass Gasheizungen weiter genutzt werden können, die mit Wasserstoff betrieben werden können und auch das Fernwärmenetz eine Option bleibt, wie Fraktionschef Christian Dürr unlängst ausführte. Dass etwas passieren muss, ist Lindner indes klar. „Wenn wir 2045 ein klimaneutrales Land sein wollen, werden wir irgendwann anfangen müssen, auch im Gebäudebereich zu Veränderungen und zu Fortschritt zu kommen“, sagt er auf dem Parteitag. Aber gebraucht werde hier „ein technologieoffener, wirtschaftlich vernünftiger und sozial akzeptierter Weg, (…) Das ist unsere Aufgabe“, schreibt er den Liberalen auf den Merkzettel.
„EINE UNSERER STÄRKSTEN PERSÖNLICHKEITEN“
Auffällig war, dass Lindner in seiner rund neunzigminütigen Rede weniger provokant und spritzig wirkte als gewohnt – sondern öfter ins Staatsmännische verfiel. Die Delegierten dankten es ihm dennoch mit langanhaltendem stehendem Applaus und wählten ihn mit 88 Prozent nach 93 Prozent vor zwei Jahren wieder zu ihrem Vorsitzenden. Als Stellvertreter wurden Wolfgang Kubicki (72 Prozent) und Johannes Vogel (71 Prozent) bestätigt. Zur neuen Partei-Vize wählten die Delegierten Forschungsministerin Bettina Stark-Watzinger (86 Prozent). Sie wird Nachfolgerin von Nicola Beer, die Vizepräsidentin der Europäischen Investitionsbank (EIB) werden soll. Generalsekretär Bijan Djir-Sarai wurde mit 76 Prozent im Amt bestätigt.
Eine weitere Personalie stand auf dem Parteitag aber wesentlich mehr im Vordergrund: Marie-Agnes Strack-Zimmermann soll Spitzenkandidatin der FDP für die Europawahl im Frühjahr 2024 werden. Präsidium und Bundesvorstand hatten die 65-Jährige kurz vor dem Parteitag am Donnerstag aufs Schild gehoben. Bestätigt werden soll die Personalie bei einem Europa-Parteitag im Januar. Lindner zeigte sich auf dem Parteitag „glücklich und dankbar, dass eine unserer stärksten Persönlichkeiten, eine unserer besten Wahlkämpferinnen“ die FDP in Europa anführen soll. Nicht wenige haben aber bereits erkennen lassen, dass sie Strack-Zimmermann in Berlin vermissen werden.
Hintergrund: FDP wittert Morgenluft – „Stehen erst am Anfang“
Quelle: Reuters
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