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Hintergrund: Die Rückkehr des deutschen Modells – Scholz auf Werbetour

Berlin, 27. Jan – Als Olaf Scholz am Dienstagabend beim DIHK auftrat, sprühte der sonst eher nüchterne Hanseat geradezu vor Enthusiasmus. „Wenn ein Land es schafft, diese große Modernisierung und Transformation hin zu einer CO2-neutralen Zukunft hinzukriegen, dann ist das Deutschland“, betonte er im Haus der deutschen Wirtschaft in Berlin vor den Vertretern der Handelskammern triumphierend. Der demonstrative Stolz rührt auch daher, dass dies im vergangenen Jahr angesichts der drohenden Ausfälle der Gaslieferungen noch ganz anders ausgesehen hatte. 

Denn einige in der Welt hätten damals gedacht: „Na, das war’s jetzt wohl für längere Zeit. Wie soll denn das gelingen?“, sagte Scholz. Aus seinen Gesprächen mit internationalen Regierungschefs wusste er, dass es Zweifel gab, ob die deutsche Wirtschaft nicht wegen der Abhängigkeit von russischem Gas, wegen anhaltend hoher Energiepreise, Personalmangel und einer lähmenden Bürokratie abstürzt. Dazu kam die Angst, dass die USA mit ihrem großen Subventionspaket für klimafreundliche Technologien Investitionen aus Deutschland und den USA absaugen. Das „German model“ stand auf dem Spiel.

Tatsächlich wurde Deutschland in internationalen Wettbewerbsrankings zuletzt eher nach hinten durchgereicht. Im aktuellen Standortranking des Zentrums für Europäische Wirtschaftsforschung (ZEW) etwa rutschte Deutschland um vier Plätze ab und findet sich auf Rang 18 wieder – von 21 untersuchten Industriestaaten. „Deutschland ist der große Verlierer im Standortwettbewerb“, fasst das ZEW das Ergebnis seiner Studie zusammen. Insbesondere in den Bereichen Regulierung, Steuerbelastung und Energie wird Deutschland demnach ungünstig bewertet. „Beim Thema Infrastruktur vergrößert sich zudem der Abstand zu den Spitzenstandorten“, wie es heißt.

Scholz hält dagegen, dass doch jetzt die Planungsbeschleunigung komme. Und schon in Davos beim Weltwirtschaftsforum glaubt der Kanzler gespürt zu haben, dass sich der Wind dreht. Denn statt einer Rezession registrierten die Statistiker für 2022 ein Wachstum in Deutschland. Die Gasversorgung gilt mittlerweile nicht nur für den Winter 22/23 als sicher – sondern hat sich auch für den Winter 23/24 entspannt. Die Gaspreise sinken zudem. 

VIELE INDIKATOREN ZEIGEN WIEDER IN RICHTIGE RICHTUNG

Fast noch wichtiger: Die industrielle Produktion blieb Deutschland in den vergangenen Monaten stabil – trotz aller Widrigkeiten. Die Zahl der Beschäftigten liegt auf Rekordniveau. „Vor allem aber: Die Transformation hin zu einer klimaneutralen Wirtschaft – diese zentrale Zukunftsaufgabe unseres Jahrhunderts – erfährt gerade eine völlig neue Dynamik“, jubelte der Kanzler. Nicht trotz, sondern wegen des russischen Krieges und des Veränderungsdrucks. Das, so Scholz, spiele Deutschland mit seinen ehrgeizigen Klimazielen in die Hände – aber nur, wenn die privaten Investitionen auch fließen. Und dafür muss das Vertrauen zurückkehren, denn Wirtschaft ist zur Hälfte Psychologie, lautete schon ein Bonmot von Ludwig Erhard. Also hat Scholz nun lautstark die Werbemaschine für den Standort Deutschland angeworfen – auch um den Pessimismus einiger Wirtschaftsverbände zu kontern. 

Eines seiner Argumente in Davos: Der Abgesang an „das deutsche Modell“ habe nie gestimmt, weil Deutschlands Stärke auch vor der Energiekrise nicht auf der energieintensiven Massenproduktion von Aluminium, Zement oder Rohstahl beruhte, sondern vor allem auf forschungs- und technologieintensiven, hochspezialisierten Industrieprodukten, die weltweit gebraucht würden. Deutschlands Energiepreise gehörten auch vor 2022 zu den höheren in der Welt. Das wahre „German model“ bestehe aber in sehr großer Innovationskraft. Dazu kommt, dass die Regierung nachgerechnet hat: Scholz stellt den 370 Milliarden Dollar US-Förderung für Klimaschutz nun die fast 180 Milliarden Euro des deutschen Klima- und Transformationsfonds für die Jahre von 2023 bis 2026 gegenüber.

Zudem wirbt er bei Investoren aber auch mit einem anderen Plus im Vergleich mit westlichen Verbündeten wie den USA und Frankreich mit politischer und sozialer Stabilität: Es gebe kaum ein Land mit „einem solch breiten Einvernehmen zwischen Unternehmen, Arbeitnehmerinnen, Arbeitnehmern und Politik“ in der Frage des Umbaus der Industrie. Außerdem versucht der Kanzler, den Firmen die Sorgen zu nehmen, dass bald nicht mehr genügend Arbeitskräfte zur Verfügung stehen könnten: Mehrfach hat er in den vergangenen Wochen ausdrücklich betont, dass die Bevölkerung in Deutschland nicht etwa schrumpfe, sondern wachse. „Auch da waren die Prognosen falsch.“ Mit dem Fachkräftepaket werde die Ampel nun den Knoten durchschlagen. Sogar eine Bevölkerungszahl von 90 Millionen bis 2070 hält er für „plausibel“. In seiner Rede in Davos warb er vor internationalem Publikum ausdrücklich um Einwanderer: „Wer bei uns mit anpacken will, der ist uns willkommen, so lautet die Botschaft.“ 

Allerdings sind die Probleme nicht verschwunden, selbst wenn die Stimmung steigt. Beispielsweise schlägt der Fachkräftemangel längst durch: Bereits jetzt behindert er die Geschäftstätigkeit von fast jedem zweiten Unternehmen, zeigt eine Untersuchung der Ifo-Instituts mit der Förderbank KfW. „In den kommenden drei Jahren wird die inländische Erwerbsbevölkerung um weitere 1,5 Millionen Personen abnehmen“, wird in der Studie vorhergesagt. Die Zahl der Rentner dürfte gleichzeitig um rund 700.000 steigen. So schnell wie der Bedarf steigt, könnten gar nicht genug benötigte Arbeitskräfte aus aller Welt kommen.

Hintergrund: Die Rückkehr des deutschen Modells – Scholz auf Werbetour

Quelle: Reuters

Symbolfoto: Bild von Achim Scholty auf Pixabay

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