Kiew/Istanbul, 03. Aug (Reuters) – Der Frachter „Razoni“, der erstmals seit Kriegsbeginn Ende Februar Getreide aus der Ukraine auf dem Seeweg transportiert, kann seine Fahrt Richtung Libanon fortsetzen. Eine dreistündige Inspektion brachte am Mittwoch keine Unregelmäßigkeiten ans Tageslicht. Das Schiff dürfte nun am späten Wochenende oder Anfang nächster Woche im Libanon eintreffen. Die Ladung soll helfen, Lebensmittelengpässe zu beheben. Weitere Transporte dieser Art sollen folgen. Der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj sprach dennoch nur von einem Tropfen auf den heißen Stein.
Am frühen Nachmittag mitteleuropäischer Zeit fuhr die „Razoni“ in den Bosporus ein, der das Schwarze Meer mit dem Mittelmeer verbindet. Zuvor hatten das türkische Verteidigungsministerium, das ukrainische Infrastrukturministerium und die Vereinten Nationen (UN) bestätigt, dass die Inspektion abgeschlossen sei. Angaben zur Crew und der Fracht stimmten mit vorherigen Anträgen überein und seien genehmigt, so die UN. Nach ukrainischen Angaben seien 17 weitere Frachter mit Agrargütern beladen worden und warteten auf grünes Licht, um auslaufen zu dürfen. Die „Razoni“ werde noch vier bis fünf Tage bis zum Zielhafen in Tripoli im Libanon brauchen.
Seit dem russischen Angriff auf die Ukraine vor mehr als fünf Monaten hängen Millionen Tonnen Getreide in Häfen am Schwarzen Meer fest. Unter Vermittlung der Türkei und der UN hatten die Kriegsparteien ein Abkommen unterzeichnet, das die Wiederaufnahme der Exporte vorsieht – ein seltener diplomatischer Erfolg in dem Krieg. Über sichere Routen sollen aus drei Häfen Ausfuhren möglich werden. Die Ukraine zählte – wie Russland – bisher zu den weltgrößten Getreide-Exporteuren. Die Häfen am Schwarzen Meer wie Odessa konnten wegen der Blockade durch russische Streitkräfte aber nicht wie gewohnt genutzt werden. Das hat bereits zu steigenden Preisen und Engpässen vor allem in ärmeren Ländern geführt. Die UN warnten vor Hungersnöten noch in diesem Jahr.
„WIRTSCHAFT IM KOMA“
Selenskyj sagte per Videoschaltung zu Studenten in Australien, die „Razoni“ liefere nur einen Bruchteil der Getreidevorräte seines Landes. Das sei noch nichts. Hoffentlich werde daraus aber ein Trend. Die Zeit werde zeigen, ob weitere Schiffe die ukrainischen Häfen verlassen könnten. Selenskyj zufolge macht die Ukraine derzeit ein Haushaltsdefizit von fünf Milliarden Dollar pro Monat. Das Land müsse mindestens zehn Millionen Tonnen Getreide exportieren, um die Finanzlage in den Griff zu bekommen. Auf der „Razoni“ werden mehr als 26.000 Tonnen Getreide transportiert. Ukrainischen Angaben zufolge liegen noch 20 Millionen Tonnen in Silos, aus der aktuellen Ernte dürften noch einmal 40 Millionen Tonnen Getreide hinzukommen. Der Krieg töte auch die Wirtschaft nahezu, so Selenskyj. „Sie ist im Koma.“ Die Blockade der Häfen treffe die Wirtschaft hart.
Das Inspektionsteam aus Vertretern Russlands, der Ukraine, der Türkei und der Vereinten Nationen hatte sich am Morgen mit zwei Booten von einem kleinen Fischereihafen in Rumeli Feneri aus auf den Weg zur „Razoni“ gemacht. Der Frachter wurde von zwei Booten der Küstenwache abgeschirmt, ein Hubschrauber kreiste in der Luft. Am Dienstagabend war das Schiff nach rund 36 Stunden von Odessa nach Istanbul vor der türkischen Küste vor Anker gegangen.
Die Inspektion ist Teil der Vereinbarung, um russische Bedenken über Waffenschmuggel zu zerstreuen. Ein UN-Sprecher sagte in New York, es sei zu hoffen, dass weitere Schiffe bald ukrainische Häfen verlassen könnten. In etwa 27 Frachter seien dazu bereit. Ein türkischer Regierungsvertreter sagte, womöglich könnten bald drei Frachter pro Tag aus ukrainischen Häfen auslaufen.
Der deutsche Altkanzler Gerhard Schröder sagte in Interviews, das Getreide-Abkommen könnte womöglich einen Weg aus dem Konflikt weisen. Vielleicht könne der Deal langsam ausgeweitet werden zu einer Feuerpause.
Getreide-Frachter „Razoni“ kann Route durch Bosporus fortsetzen
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