Freitag, April 19, 2024
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Feature: Vor Einberufung aus Russland geflohen – Gestrandet am Flughafen Seoul

19. Jan – Eigentlich wollte Wladimir Maraktajew nur der russischen Teilmobilmachung entkommen. Jetzt sitzt der 23-Jährige seit zwei Monaten im Abflugterminal des Flughafens für die südkoreanische Hauptstadt Seoul fest. „Mein Leben fühlt sich an wie ‚Täglich grüßt das Murmeltier'“, sagt Wladimir. „Im Grunde genommen verbringe ich meine Tage mit Nichtstun.“ Ein Gang durch die Halle, Bücher lesen und der Versuch, Koreanisch zu lernen. Mehr ist nicht drin. 

Am 24. September hat er seine Heimat, die sibirische Stadt Ulan-Ude, verlassen und ist in die benachbarte Mongolei geflohen. Kurz zuvor hatte der Student der Sprachwissenschaft im Rahmen der Teilmobilmachung für den Krieg in der Ukraine den Einberufungsbescheid bekommen. Über die Philippinnen flog er am 12. November nach Südkorea in der Hoffnung, in der seiner Meinung nach stabilsten Demokratie Asiens Flüchtlingsstatus zu bekommen. Den Antrag füllte er gleich nach seiner Ankunft aus. Doch die südkoreanischen Behörden lehnten ab: Einer Einberufung zu entkommen, sei kein triftiger Grund, Asyl zu gewähren. Nach sechs Tagen in einem Abschiebezentrum wurde Wladimir zurück zum Flughafen gebracht. Er hat den Incheon International Airport seitdem nicht verlassen. 

Da der Russe Berufung eingelegt hat, kann er nicht abgeschoben werden. Bis zum endgültigen Bescheid muss er am Terminal bleiben. Aber er ist nicht allein. Mit ihm warten vier weitere Russen ebenfalls auf ihre Asylbescheide. Sie leben in einem kleinen Raum am Rande der Abflughalle, wo sie auf Decken auf dem Boden schlafen. Sie können duschen, der Zugang zu heißem Wasser ist allerdings beschränkt, und ihre Kleider müssen sie per Hand waschen. Verpflegt werden sie vom südkoreanischen Justizministerium. Da russische Bankkarten nur noch in sehr wenigen Ländern akzeptiert werden, ist das Bargeld knapp. „Alles, was ich für lange Zeit hatte, war das Bargeld, das ich mitgenommen habe, als ich von Zuhause weg bin“, sagt Wladimir. „Zum neuen Jahr habe ich mir einen Kaffee gegönnt, das musste sein.“

Es kommt immer wieder vor, dass Passagiere an Flughäfen für längere Zeit stranden. Zu den spektakulärsten Fällen gehört wohl der eines Iraners, der wegen fehlender Papiere jahrelang im Pariser Flughafen lebte. Seine Geschichte diente als lose Vorlage für den Film „Terminal“ von Steven Spielberg mit Tom Hanks in der Hauptrolle. 

Obwohl sein Schicksal in der Schwebe hängt, lebt Wladimir lieber am Flughafen als nach Russland zurückzukehren. Das sei das kleinere Übel, sagt er, da er befürchtet, gleich bei seiner Rückkehr festgenommen zu werden. Vor zwei Wochen habe er von Freunden die Nachricht bekommen, dass einer seiner engsten Schulfreunde bereits im Herbst in der Ukraine ums Leben gekommen sei. Sie wüssten nicht, ob seine Leiche geborgen werden konnte. „Das wünsche ich noch nicht einmal meinem ärgsten Feind.“

Feature: Vor Einberufung aus Russland geflohen – Gestrandet am Flughafen Seoul

Quelle: Reuters

Symbolfoto: Bild von RARE auf Pixabay

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