Berlin (dts Nachrichtenagentur) – Mehrere Fachleute, darunter Fachanwälte und Staatsanwälte, haben den Druck auf die Bundesregierung erhöht und eine Reform des 2021 verschärften Sexualstrafrechts im Umgang mit Delikten von Kindesmissbrauch sowie Bildern und Videos davon gefordert. „Die Anhebung der Strafuntergrenze bei Besitz und Verbreiten von Kinderpornografie ist kontraproduktiv, es geht am Ziel des Gesetzes vorbei: die schweren Sexualstraftäter härter zu verfolgen“, sagte die Staatsanwältin Julia Bussweiler von der Zentralstelle zur Bekämpfung von Internetkriminalität bei der Generalstaatsanwaltschaft Frankfurt, den Zeitungen der Funke-Mediengruppe (Mittwochausgaben).
„Stattdessen sind die Ermittler und die Staatsanwälte massiv belastet mit Fällen von Schulhof-Kids, die in einer Chatgruppe ein kinderpornografisches Bild geteilt haben. Nicht weil sie Kindesmissbrauch verherrlichen, sondern wie sie naiv sind“, sagte Bussweiler. Die Vorsitzende der Deutschen Vereinigung für Jugendgerichte und Jugendgerichtshilfen, Theresia Höynck, sagte: „Niemand bestreitet das Ziel: Wir wollen Missbrauch von Kindern und Kinderpornografie mit aller Kraft strafverfolgen. Aber die Verschärfung des Strafrechts und das Mindestmaß von einem Jahr Haftstrafe hat zwar hohe Symbolwirkung – aber fatale Folgen für eine überlastete Justiz und Betroffene.“ So würden auch Lehrkräfte und besorgte Eltern ins Visier der Ermittler geraten, die Bilder „ohne böse Intention etwa auf ihrem Handy speichern, um damit pädagogisch umzugehen“. Höynck forderte „Aufklärung bei Lehrkräften, Schülern und Eltern“. Zu nachlässig seien viele Jugendliche und Eltern heute mit strafbaren Inhalten im Netz. „Diese Konflikte lösen wir nicht vor Gericht. Dafür brauchen die Menschen Wissen und Knowhow im Umgang mit sozialen Medien“, sagte Höynck. Die Fachanwältin und Mitglied im Strafrechtsausschuss des Deutschen Anwaltverein, Jenny Lederer, forderte die Vorschriften „dringend“ wieder zu entschärfen, „um die Justiz zu entlasten und vor allem Betroffene in milderen Fällen nicht unnötig harsch zu kriminalisieren“. Schon jetzt seien Polizei und Justiz bei der Verfolgung von Sexualstraftaten „am Limit, oft dauert es lange, bis beschlagnahmte Handys und Computer ausgewertet sind“. Ähnlich hatte sich zuvor auch der Deutsche Richterbund geäußert und von einer „verunglückten Reform“ gesprochen. Zugleich forderte der Richterbund eine Neuregelung des Sexualstrafrechts durch die Bundesregierung. Im März 2021 hatte der Bundestag beschlossen, sexuelle Gewalt gegen Kinder juristisch grundsätzlich als Verbrechen zu bestrafen. Das bedeutet eine Mindeststrafe von einem Jahr Freiheitsentzug. Damit ist eine Einstellung von Verfahren oder eine Geldstrafe in minder schweren Fällen nicht mehr möglich.
Gleiches gilt für den Besitz sowie das Verbreiten von Kinderpornografie. Das Bundesjustizministerium teilte auf Nachfrage der Funke-Zeitungen mit, man nehme „die in jüngster Zeit vermehrt geäußerten Bedenken“ gegen das verschärfte Sexualstrafrecht „sehr ernst“ und prüfe derzeit „gesetzgeberischen Handlungsbedarf“ und „mögliche Handlungsoptionen“.
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