München, 21. Jul (Reuters) – Die überraschend starke Leitzins-Erhöhung der Europäischen Zentralbank (EZB) stößt bei Banken, Verbänden und Ökonomen auf einhellige Zustimmung. Die Zinsen müssten aber schnell weiter steigen, um die Inflation in den Griff zu bekommen, sind sich die Finanzexperten einig. Iris Bethge-Krauß, Hauptgeschäftsführerin des Bundesverbands Öffentlicher Banken (VÖB), sprach am Donnerstag in Berlin von einem „ersten Schritt auf einem geldpolitisch langen Weg“. Der Hauptgeschäftsführer des Versicherer-Verbandes GDV, Jörg Asmussen, sagte, es handele sich um einen „symbolträchtigen Schritt, der die Negativzinsphase beendet. Dennoch kann die Zinserhöhung nur ein erster Schritt in einer Reihe gewesen sein“.
Die Präsidentin des Sparkassenverbandes Westfalen-Lippe, Liane Buchholz, drängte die EZB, den Kurs beizubehalten und schon im September weitere Schritte folgen zu lassen, um die Inflation zu drosseln. „Die EZB hat viel zu lange gewartet. Die Zinserhöhung ist zwar das richtige Signal, aber es ist viel Zeit verschenkt worden.“ Die Notenbanker seien mit schuld daran, dass die Teuerungsrate auch im Juni auf Rekordniveau gelegen habe.
Der deutsche Sparkassenpräsident Helmut Schleweis äußerte dagegen Verständnis für die EZB: „Durch den verbrecherischen Angriffskrieg auf die Ukraine und den drohenden Gas-Lieferstopp hat sich das Zeitfenster für den Beginn signifikanter Zinserhöhungen noch schneller geschlossen, als wir alle das vorhersehen konnten.“ Die Erhöhung um 0,5 Prozentpunkte müsse der Startschuss für eine Reihe weiterer Zinsschritte sein. Michael Heise, Chefökonom von HQ Trust, erwartet den Leitzins zum Jahresende bei einem Prozent. „Eine einigermaßen neutrale Geldpolitik dürfte allerdings erst bei einem Zinsniveau um die zwei Prozent erreicht sein.“
Die Notenbanker zeigten, „dass sie die hohe Inflation nicht dauerhaft hinnehmen wollen“, sagte der Hauptgeschäftsführer des Privatbanken-Verband BdB, Christian Ossig. Das sei auch ein wichtiges Signal an die Tarifparteien. Der Hauptgeschäftsführer des Deutschen Industrie- und Handelskammertages, Martin Wansleben, mahnte die Notenbanker zu „wohldosierten“ Schritten. „Die Inflation ist zum großen Teil eine importierte Inflation. Daher muss nicht nur die EZB reagieren.“ Eine zu hohe Inflation sei ebenso Gift für die Wirtschaft wie zu hohe Zinsen. „Sie schüren Unsicherheit und erhöhen die Finanzierungskosten der Unternehmen.“ Die Bundesregierung müsse an den Ursachen der Inflation ansetzen, etwa den bröckelnden Lieferketten.
Experten und Verbände – EZB-Zinsschritt kann nur der Anfang sein
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