Kiew/Lwiw, 31. Mai (Reuters) – Bei den schweren Kämpfen in der Ost-Ukraine haben die russischen Streitkräfte einem Separatistenanführer zufolge etwa ein Drittel der strategisch wichtigen Stadt Sjewjerodonezk unter ihre Kontrolle gebracht. Die Truppen kämen aber nicht so schnell voran, wie man es sich erhofft habe, zitierte die russische Nachrichtenagentur Tass am Dienstag den Anführer der pro-russischen Separatistenregion Luhansk, Leonid Pasetschnik. In der Stadt tobten Kämpfe. Der Vormarsch werde auch erschwert, weil es mehrere große Chemieanlagen in der Region gebe. Man wolle vor allem die Infrastruktur der Stadt erhalten.
Nach ukrainischen Angaben sind dagegen große Teile der Stadt durch russischen Beschuss zerstört. Der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj hatte erklärt, rund 90 Prozent der Gebäude von Sjewjerodonezk seien beschädigt, mehr als zwei Drittel der Wohnhäuser zerstört. Nach Angaben der Stadtverwaltung halten die ukrainischen Truppen Sjewjerodonezk aber nach wie vor. Die Streitkräfte kämpften weiter gegen die langsam eindringenden russischen Verbände, sagte Bürgermeister Olexandr Strjuk im ukrainischen Fernsehen. „Die Stadt ist noch in ukrainischer Hand.“ Evakuierungen seien angesichts der Kämpfe derzeit aber nicht möglich.
Sjewjerodonezk mit eigentlich rund 100.000 Einwohnern ist die größte Stadt im Donbass, die von der Ukraine noch mehr oder weniger gehalten wird. Die Einnahme von Sjewjerodonetsk und der Nachbarstadt Lyssytschansk am Ufer des Flusses Siwerskyj Donez würde Russland die faktische Kontrolle über die Region Luhansk im Donbass geben und die Möglichkeit, nach mehr als drei Monaten Krieg eine Art Sieg zu verkünden. Russlands Außenminister Sergej Lawrow hatte erst am Montag die Einnahme des Donbass als eine bedingungslose Priorität für sein Land bezeichnet. Russland erkennt die separatistischen Donbass-Regionen Donezk und Luhansk als unabhängige Staaten an.
Nach Erkenntnissen des britischen Militärgeheimdienstes rücken die russischen Truppen in dem Gebiet weiter vor. „Der Vormarsch erfolgt langsam, aber die Geländegewinne werden gehalten“, teilte das britische Verteidigungsministerium auf Basis des Lageberichts auf dem Kurznachrichtendienst Twitter mit. Russland habe durch die Bündelung seiner Truppen und die Konzentration des Beschusses örtlich mehr Erfolge erzielt als zu Beginn der Invasion. Die Straßen in die umkämpften Gebiete seien jedoch weiterhin unter ukrainischer Kontrolle. Zudem müssten die russischen Streitkräfte mit dem massiven Zusammenziehen der Truppen Risiken in anderen besetzten Gebieten eingehen.
UNGARN SETZT AUSNAHME FÜR PIPELINE-ÖL DURCH
Auch bei den Kämpfen im Süden leisten die ukrainischen Streitkräfte nach eigenen Angaben erbitterten Widerstand. Die russischen Truppen seien auf Verteidigungspositionen an drei Dörfern am südlichen Ufer des Flusses Inhulez zurückgedrängt worden, teilte die Regierung in Kiew mit. Der Fluss bildet die Grenze zur Provinz Cherson, in der Russland versucht, seine Kontrolle zu festigen. In der nahegelegenen Region Mykolajiw schoss Russland nach eigenen Angaben einen ukrainischen Su-25-Kampfjet ab. Das russische Verteidigungsministerium teilte zudem mit, dass seine Streitkräfte eine Radarstation und zwei Munitionsdepots in der Ostukraine bombardiert hätten. Reuters konnte die Angaben beider Seiten aus den Kampfgebieten nicht unabhängig überprüfen.
Russland bezeichnet sein Vorgehen in der Ukraine als militärischen Sondereinsatz. Die Ukraine und westliche Staaten sprechen dagegen von einem Angriffskrieg. Die Europäische Union bereitet deshalb ihr mittlerweile sechstes Sanktionspaket vor. Darin beschlossen die 27 EU-Staats- und Regierungschefs auf einem Sondergipfel in der Nacht zum Dienstag einen weitgehenden Importstopp von russischem Öl.
Dies betrifft aber nur Transporte mit Öltankern über den Seeweg, Pipeline-Öl wurde auf Drängen vor allem Ungarns von dem Embargo ausgeschlossen. „Das deckt ab sofort mehr als zwei Drittel der Öl-Importe aus Russland ab, und schneidet damit eine enorme Quelle der Finanzierung seiner Kriegsmaschinerie ab“, sagte Ratspräsident Charles Michel. Bis Jahresende sollen von dem Embargo 90 Prozent des russischen Öls betroffen sein.
Erbitterte Kämpfe um Sjewjerodonezk – Russen kommen im Donbass voran
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