München, 18. Jan – Im Prozess um die milliardenschwere Pleite des Finanzkonzerns Wirecard will die Verteidigerin eines weiteren Angeklagten das Verfahren unterbrechen lassen. Am Rande des achten Verhandlungstags am Mittwoch vor dem Landgericht München sagte die Anwältin des Ex-Chefbuchhalters Stephan von Erffa, Sabine Stetter, der Nachrichtenagentur Reuters, die Staatsanwaltschaft habe umfangreiche Ermittlungsakten zu spät nachgereicht. „Das verstößt gegen das Akteineinsichtsrecht und gegen den Grundsatz des fairen Verfahrens.“ Damit schlägt Stetter in dieselbe Kerbe wie die Verteidiger von Ex-Wirecard-Chef Markus Braun. Diese haben nach eigenen Angaben bereits zwei Anträge zur sogenannten Aussetzung des Verfahrens gestellt.
Brauns Anwalt Alfred Dierlamm hatte bereits kurz nach Prozessbeginn im Dezember gefordert, die Strafkammer müsse die Verhandlung längere Zeit unterbrechen. Er beschwerte sich wiederholt, die Staatsanwaltschaft überhäufe die übrigen Prozessbeteiligten fortwährend mit neuen Dokumenten, für deren Auswertung Anwälte und Richter viel Zeit benötigten. Am Rande der Verhandlung am Mittwoch sagte Dierlamm, es handle sich mittlerweile um Computerdaten im Umfang von zehntausenden Seiten. Nach Ansicht der Verteidiger hätten die Ermittler die Dokumente bereits vor Prozessbeginn bereitstellen müssen. Brauns Pflichtverteidigerin Theres Kraußlach, die Braun gemeinsam mit Dierlamm vertritt, sagte Reuters am Mittwoch, sie habe außerhalb der Verhandlung ebenfalls einen solchen Antrag eingereicht.
Wann das Gericht über die Anträge entscheidet, blieb zunächst offen. Ein Gerichtssprecher sagte am Rande der Verhandlung, das solle „zeitnah“ geschehen. In Kreisen der Prozessbeteiligten, wird zwar nicht damit gerechnet, dass das Gericht den Anträgen folgt und den Prozess unterbricht. Jedoch dürfte die Strafkammer eine mögliche Ablehnung der Anträge sehr eingehend begründen, auch um den Verteidigern möglichst kein Argument für ein Revisionsverfahren zu liefern. Die Angeklagten und ihre Anwälte wie auch die Staatsanwaltschaft können ein Urteil, mit dem frühestens im kommenden Jahr gerechnet wird, laut Gesetz per Revision anfechten.
In der Verhandlung am Mittwoch kündigte der Vorsitzende Richter Markus Födisch den von Stetter geplanten Aussetzungsantrag zunächst nur an. Er wollte der Anwältin erst am Nachmittag das Wort erteilen und setzte zunächst die Vernehmung des dritten Angeklagten Oliver Bellenhaus fort. Der frühere Statthalter von Wirecard gilt als Kronzeuge. Er hat eine Tatbeteiligung gestanden und die beiden Mitangeklagten schwer beschuldigt. Brauns und von Erffas Verteidiger haben die Vorwürfe zurückgewiesen.
Bellenhaus beschreibt die Vorgänge bei Wirecard als gemeinsame Bilanzfälschung in großem Stil, für die Milliardenbeträge erfunden worden seien. Brauns Anwalt Dierlamm hingegen spricht von einer Veruntreuung vorhandener Milliardenbeträge hinter Brauns Rücken. Die Staatsanwaltschaft wirft den drei Angeklagten Bilanzfälschung, Marktmanipulation, Untreue und Bandenbetrug vor. Der Zahlungsdienstleister Wirecard war im Juni 2020 zusammengebrochen, als bekannt wurde, dass in der Kasse 1,9 Milliarden Euro fehlten. Die Pleite ist einer der größten Finanzskandale der deutschen Nachkriegsgeschichte.
Drei Verteidiger beantragen Unterbrechung von Wirecard-Prozess
Quelle: Reuters
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