28. Feb (Reuters) – Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne) schließt längere Laufzeiten für deutsche AKW angesichts drohender Versorgungsengpässe mit Energie nicht aus. Eigentlich sollte zum Jahresende das letzte Atomkraftwerk in Deutschland vom Netz gehen. Doch längere Laufzeiten werfen komplizierte rechtliche, technische und finanzielle Fragen auf:
WELCHE AKW SIND NOCH AM NETZ?
Derzeit laufen noch drei Anlagen: Emsland in Niedersachsen, Neckarwestheim II in Baden-Württemberg sowie Isar II in Bayern. Sie liefern etwa zehn Prozent des deutschen Verbrauchs.
KÖNNEN DIE AKW RECHTLICH WEITER BETRIEBEN WERDEN?
Dafür müsste das Atomgesetz geändert werden. In Paragraf 7 ist das Enddatum 31.12.2022 festgelegt.
Zudem: Der Atomausstieg ist in Verträgen der Regierung mit den Betreibern geregelt, wo die Daten auch hinterlegt sind. Auch diese müssten aufgelöst und neu verhandelt werden.
SIND DIE AKW SICHER?
Die drei Anlagen sind im europäischen Vergleich zwar relativ jung, dennoch würden bei einer Laufzeitverlängerung eine Reihe von Problemen entstehen.
Da die Betreiber von einem Aus Ende des Jahres ausgingen, sind Wartungsintervalle und Sicherheitsüberprüfungen darauf ausgelegt. „Es wurden sicher keine Nachrüstungen mehr gemacht und keine Wartungsarbeiten“, sagt der Atomexperte Wolfgang Renneberg der Nachrichtenagentur Reuters.
Er war früher Leiter der Reaktorsicherheits-Abteilung im Umweltministerium. „Es gibt sicher einen Investitionsstau.“ Überprüfungen der Behörden dauerten häufig Monate.
WIE IST DIE BRENNSTOFFVERSORGUNG?
Die Brennelemente, sozusagen der Treibstoff der Reaktoren, werden aus wirtschaftlichen Gründen auch auf das Enddatum ausgelegt. Es müssten also wohl zahlreiche ausgetauscht und damit vermutlich auch der Reaktorkern erneuert werden. Das wird von Behörden streng überwacht und kann schnell über ein Jahr dauern. Zumal Brennelemente speziell für den jeweiligen Reaktor angefertigt werden müssen und nicht einfach verfügbar sind.
WIE IST DIE PERSONALLAGE BEI DEN BETREIBERN?
Alle haben sich bereits gegen längere Laufzeiten ausgesprochen, weil sie sich auf den Ausstieg eingestellt haben. Eine Sprecherin der E.ON-Tochter PreussenElektra sagt: „Dies hat zur Folge, dass wir nicht mehr über frische Brennelemente verfügen, die für einen Betrieb erforderlich wären.
Und auch das erforderliche Personal, das wir zum Betrieb unserer Anlagen benötigen würden, steht nach der Abschaltung nicht mehr in ausreichendem Maße für einen Leistungsbetrieb bereit.“
DER ATOMKONSENS
Der Atomausstieg war bis Ende 2022 nach der Katastrophe von Fukushima vereinbart worden. Dabei wurden unter anderem Reststrommengen vereinbart, die noch produziert werden dürfen. Eine Aufkündigung müsste hier neue Regelungen schaffen. Zugleich würde es wohl auch die Anti-Atom-Bewegung wiederbeleben.

Zudem: In einer sogenannten Atomkommission wurden auch finanzielle Fragen zur Zwischen- und Endlagerung geregelt. Die Betreiber wurden aus ihrer Verantwortung zu großen Teilen gegen eine Zahlung von 24 Milliarden Euro entlassen. Auch dies basiert auf dem Aus bis Ende 2022 und müsste teilweise neu verhandelt werden.
Gleiches gilt für die außergerichtliche Einigung über Entschädigungsfragen mit RWE, Vattenfall, EnBW und E.ON. Auch hier müsste ein Paket wieder aufgeschnürt werden.
WAS BEDEUTET DAS UNTERM STRICH?
Die Wahrscheinlichkeit einer Laufzeitverlängerung gilt auch nach Aussagen aus Regierungskreisen als unwahrscheinlich. Atomexperte Renneberg fasst dies so zusammen: „Die Frage ist doch, wie lange dauert es, um die Sicherheit zu gewährleisten, wie viel muss man investieren und macht es dann noch Sinn?“
Die großen Fragenzeichen hinter längeren AKW-Laufzeiten
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