London, 17. Aug (Reuters) – Die Inflation in Großbritannien hat im Juli die Zehn-Prozent-Marke geknackt und lässt die Kaufkraft der Bürger zunehmend erodieren. Waren und Dienstleistungen kosteten durchschnittlich 10,1 Prozent mehr als ein Jahr zuvor, wie das Office for National Statistics am Mittwoch in London mitteilte. Das ist der stärkste Anstieg seit Februar 1982 – ein Wert, den keiner der von Reuters befragten Ökonomen auf dem Zettel hatte. Sie hatten damit gerechnet, dass die Teuerungsrate mit 9,8 Prozent noch einstellig bleiben würde – so wie im Juni, als die Verbraucherpreise um 9,4 Prozent zulegten. Die rasant anziehenden Lebenshaltungskosten, die noch durch massiv steigende Energierechnungen im Herbst und Winter befeuert werden dürften, setzen die britische Notenbank unter Druck.
Die Bank von England (BoE) hatte zuletzt den größten Zinsschritt seit 27 Jahren gewagt, um den Preisauftrieb in Schach zu halten. „Eine Inflation im zweistelligen Prozentbereich war unausweichlich. Doch sie kam früher als erwartet“, meint Craig Erlam, Marktanalyst des Brokerhauses Oanda. Damit sei es fast ausgemachte Sache, dass die Zentralbank im September einen weiteren Zinsschritt in Höhe von mindestens einem halben Prozentpunkt folgen lassen werde.
Die Investoren an den Finanzmärkten stellen sich darauf ein, dass das Zinsniveau Mitte September auf 2,25 Prozent angehoben wird. Damit dürfte das Ende der Fahnenstange noch lange nicht erreicht sein. Bis Mai 2023 könnte die BoE laut den Erwartungen der Händler das Zinsniveau auf 3,75 Prozent nach oben schrauben.
Im Kampf gegen die rasant steigenden Preise hatten die Währungshüter in London den Leitzins zuletzt um 50 Basispunkte auf 1,75 Prozent angehoben. Mit höheren Zinsen soll verhindert werden, dass sich der Inflationsanstieg in der Wirtschaft festsetzt und sich Löhne und Preise weiter hochschaukeln.
HOHE GEHALTSEINBUSSEN
Daten des nationalen Statistikamtes ONS zeigen, dass die Arbeitnehmer zuletzt trotz steigender Entgelte wegen der hohen Inflation preisbereinigt (real) die größten Gehaltseinbußen seit Beginn der Aufzeichnungen im Jahr 2001 in Kauf nehmen mussten. Die Gehälter stiegen zwar nominal um 4,7 Prozent, doch real sanken sie um 4,1 Prozent. Auf die Briten werden im Zuge der Energiekrise im Winter zudem noch massiv steigende Kosten zukommen, da der staatliche Preisdeckel für die durchschnittliche jährliche Energierechnung kräftig angehoben werden dürfte. Auch bei den Einkäufen des täglichen Bedarfs spüren die Bürger den kräftigen Preisauftrieb. Im Einzelhandel stiegen die Preise auf Jahressicht im Juli um 12,3 Prozent – der höchste Wert seit März 1981.
„Die Inflation unter Kontrolle zu bringen, ist für mich oberste Priorität“, sagte Finanzminister Nadhim Zahawi nach Veröffentlichung der Verbraucherpreis-Daten. Dabei spielten neben der unabhängigen Geldpolitik auch verantwortungsvolle Steuer- und Ausgabe-Entscheidungen eine Rolle sowie Reformen zur Förderung von Produktivität und Wachstum.
Die britische Wirtschaft ist im Frühjahr bereits leicht geschrumpft. Das Bruttoinlandsprodukt (BIP) ging von April bis Juni zum Vorquartal um 0,1 Prozent zurück. Die Notenbank befürchtet, dass die Wirtschaft in eine tiefe Rezession rutschen und die Inflation im Oktober die Schwelle von 13 Prozent überschreiten wird.
Am boomenden Immobilienmarkt sind bereits Abkühlungstendenzen im Gange. Die Häuserpreise stiegen im Juni auf Jahressicht nur noch um 7,8 Prozent, nachdem sie im Mai noch um 12,8 Prozent angezogen hatten. Der Anstieg im Juni war der niedrigste seit Juli 2021.
Britische Inflation bei 10,1 Prozent – Weiterer großer Zinsschritt naht
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