Berlin (dts Nachrichtenagentur) – Nach über 60 Jahren ist in der Nacht zu Sonntag die kommerzielle Stromproduktion in Deutschland offiziell zu Ende gegangen. Um 22:37 Uhr wurde das AKW Emsland heruntergefahren und vom Netz getrennt, wie RWE am späten Samstagabend mitteilte.
Auch für die Reaktoren Isar 2 und Neckarwestheim 2 endete um Mitternacht die Berechtigungen zum Leistungsbetrieb. 1961 hatte das Atomkraftwerk Kahl in Bayern als erster deutscher Meiler mit der Einspeisung von Atomstrom in das öffentliche Netz begonnen. Der politische Streit um die Atomkraft in Deutschland geht indes weiter: Der frühere Bundesumweltminister Jürgen Trittin (Grüne) griff den Koalitionspartner FDP für seine Vorschläge zur Atomenergie an: „Der FDP-Vorschlag, die AKWs als Reserve zu behalten, verstößt gegen das Gesetz und würde sehr viel Steuergeld vernichten, weil der Staat die Kosten für Personal und Wartung übernehmen müsste“, sagte Trittin der „Bild am Sonntag“. „Finanzminister Lindner sollte das Geld, besser in die Bekämpfung von Kinderarmut stecken, da haben die Menschen mehr von.“
Längere Laufzeiten für die Kernkraftwerke würde Deutschland in die erneute Energieabhängigkeit von Russland treiben, kritisierte Trittin. „Wenn die FDP Atom-Laufzeiten verlängern will, redet sie faktisch davon, dass wir Uran aus Russland kaufen sollen. Atomenergie in Europa läuft nicht ohne Russland“, so der Grünen-Politiker. Als Beispiele nannte er die osteuropäischen Länder, die extrem abhängig von den Brennelementen von Rosatom, Putins Atomagentur, seien.
Auch Frankreich produziere seine Brennstäbe aus Uranhexafluorid, das aus Russland komme. Trittin forderte, den Atomausstieg konsequent zu Ende zu führen: „Der Rückbau der AKW muss unverzüglich beginnen. Das schreibt das Gesetz vor. Die AKW-Flächen müssen, wie den Anwohnern versprochen, zügig für eine andere Gewerbenutzung bereitgestellt werden.“
Der bayerische Ministerpräsident Markus Söder (CSU) schlug unterdessen ebenfalls in der „Bild am Sonntag“ vor, dass das bayerische Atomkraftwerk Isar 2 in Landesverantwortung weiter betrieben wird. „Bayern fordert deshalb vom Bund eine eigene Länderzuständigkeit für den Weiterbetrieb der Kernkraft. Solange die Krise nicht beendet und der Übergang zu den Erneuerbaren nicht gelungen ist, müssen wir bis zum Ende des Jahrzehnts jede Form von Energie nutzen. Bayern ist bereit, sich dieser Verantwortung zu stellen.“
Zugleich wolle Bayern als Vorreiter in die Forschung zur Kernfusion einsteigen, so Söder, „und den Bau eines eigenen Forschungsreaktors – gerne in Zusammenarbeit mit anderen Ländern“. Zudem brauche es dringend eine nationale Forschungsstrategie für eine Nutzbarkeit des Atommülls. Der CSU-Vorsitzende: „Wir sind es unseren künftigen Generationen schuldig, nicht nur über ein Endlager in ferner Zukunft zu diskutieren, sondern innovative Pläne für eine verantwortungsvolle und technologische Lösung zu entwickeln.“
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