Berlin (dts Nachrichtenagentur) – Die EU-Grenzschutzagentur Frontex erwägt offenbar, aufgrund von Menschenrechtsverletzungen in Griechenland ihre Mission dort zu beenden. Das berichtet die „Welt am Sonntag“ unter Berufung auf Behördenkreise.
Hintergrund der Beratungen ist demnach der Umgang der griechischen Sicherheitsbehörden mit über das Meer illegal einreisenden Migranten. Bei einer der größten Katastrophen im Mittelmeer der vergangenen Jahre waren am 14. Juni rund 600 Menschen ertrunken. Mehrere Überlebende erhoben den Vorwurf, griechische Küstenwächter hätten das Boot mit dem Einsatz eines Seils zum Kentern gebracht und sich dann von dem Tatort entfernt. Laut der Zeitung arbeitet Jonas Grimheden, der Frontex-Menschensbeauftragte, im Blick auf das Pylos-Drama aktuell an einem „Bericht über einen schwerwiegenden Vorfall“. Die Behörden in Athen wurden in dieser Woche abermals aufgefordert, Erklärungen zu dem Einsatz zu liefern. „Es geht hier nicht bloß allgemein um die Nichtachtung von Menschenrechten, sondern um strafrechtlich relevante Vorwürfe“, sagte ein hochrangiger Frontex-Mitarbeiter. Gemäß Artikel 46 der Frontex-Verordnung hat der Exekutivdirektor das Recht, jedwede Tätigkeit auszusetzen, wenn „schwerwiegende oder voraussichtlich weiter anhaltende Verstöße gegen Grundrechte oder Verpflichtungen des internationalen Schutzes vorliegen“. Ein Ende der Zusammenarbeit mit Athen wird agenturintern in dramatischen Worten als „atomare Option“ bezeichnet. Am 19. Juni wohnten drei EU-Abgeordnete einer Frontex-Verwaltungsratssitzung bei. Aus dem Protokoll, über das die „Welt am Sonntag“ berichtet, geht hervor, wie groß die Empörung ob der Zustände agenturintern ist. Demnach erklärte der Menschenrechtsbeauftragte Grimheden, bei keinem EU-Staat gebe es so viele Bedenken wie bei Griechenland. Bezüglich eines Vorfalls vom 22. April sagte Grimheden: „Die griechischen Behörden baten zwei Frontex-Teams, nicht über die Sichtung und Begegnung mit einem Migrantenboot zu berichten.“
Als diese es doch taten, habe Athen absichtlich falsche Koordinaten gemeldet, um die Rettung der Menschen zu erschweren. Außerdem seien die Vorwürfe der „New York Times“ wahr: Am 11. April seien tatsächlich zwölf Migranten auf Lesbos entführt, in ein Schlauchboot gesetzt und im offenen Meer zurückgelassen worden. Bezüglich dieser beiden Vorfälle wandte sich Exekutivdirektor Hans Leijtens an Dimitrios Mallios, der als Chef des griechischen Grenzschutzes auch im Frontex-Verwaltungsrat sitzt. In dem Schreiben ist von der „Bestätigung von schweren Anschuldigungen“ die Rede.
Es sei für Frontex von „überragender Bedeutung“, bis zum 10. Juli alle der Küstenwache zur Verfügung stehenden Informationen zu erhalten. Dann, so heißt es aus Frontex-Kreisen, solle anhand einer „belastbaren Sachverhaltsgrundlage“ über einen kompletten oder teilweisen Rückzug entschieden werden; auch Zahlungsstopps sind im Gespräch. Gemäß dem Protokoll des Treffens am 19. Juni drängte der Grundrechtsbeauftragte Grimheden schon zu diesem Zeitpunkt darauf, „die größtmöglichen Maßnahmen zu ergreifen“. Die Bedingungen für Artikel 46 seien „vollständig erfüllt“.
Athen selbst bestreitet jedwedes Fehlverhalten. Ein Regierungssprecher teilte der „Welt am Sonntag“ mit, niemals habe es „illegale Aktionen“ der Einsatzkräfte gegeben.
Foto: Eine Boje im Meer, über dts Nachrichtenagentur
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