Auf dem Weg zu einem anderen, weltfreundlichen Tourismus. Wir haben nachhaltige Betriebe und Ausflugsziele am Bodensee besucht
Auf dem Weltacker in Überlingen ist der Weizen bald reif. Bildungsreferentin und Agrarfachfrau Anette Wilkening schaut nach dem Rechten und nascht zwischendurch ein paar Johannisbeeren. Auf der Heimfahrt wird sie später noch eine Runde im Bodensee schwimmen gehen. Im Slow-Food-Restaurant „Die Speiserei im Maier“ in Friedrichshafen-Fischbach bereitet Küchenchef Philipp Heid derweil eine Vorspeise mit Rotaugen-Filets vor. Er hat sie mariniert und serviert seine Interpretation von Ceviche mit vier Sorten Bodensee-Tomaten. Ganz in der Nähe kontrolliert Christine Brugger auf dem Biohof Brugger Zitronenverbene und Wacholder – zwei Zutaten ihres Gins aus der Organic Distillery. Die Sensorik-Wissenschaftlerin nutzt frische Bio-Kräuter und ihr Expertinnen-Wissen, um ganz besonders feine Destillate mit intensiven Aromen herzustellen. Sie brennt schon in vierter Generation.
Ein bunter Acker, der die internationale Landwirtschaft erklärt, und Gastgeber, die ihren Produkten eine Extraportion Zeit geben. Das passt gut zur Region. Dort hat sich unter der Federführung der Deutschen Bodensee Tourismus GmbH (DBT) ein Zusammenschluss von Betrieben und Projekten gebildet, die sich in besonderem Maß für den Erhalt der einzigartigen Kulturregion einsetzen. Das Ziel der Kooperation „Der Bodensee – ECHT nachhaltig“: sich vernetzen und den See „als Lebensraum für Einheimische und als intakte Urlaubsregion für Gäste langfristig bewahren“. Mittlerweile gehören schon über 60 Übernachtungsbetriebe, Restaurants und Cafés, Manufakturen und Ausflugsziele zu den Partnern. Drei davon haben wir besucht.
Mein Acker, dein Acker
Anette Wilkening kniet im Beet und zupft hier und da ein Kraut heraus. Sieht friedlich hier aus, ein grünes Bio-Idyll unweit des Bodensees. Doch eigentlich geht es auf dem Überlinger Weltacker um viel mehr: um internationale Zusammenhänge in der Landwirtschaft, um Ressourcen, um Wasser, Macht und Gerechtigkeit. Die Idee, die ursprünglich aus Berlin stammt, wurde vor einigen Jahren zur Landesgartenschau in Überlingen umgesetzt und ist nur auf den ersten Blick kompliziert: 2.000 Quadratmeter stehen jedem Menschen auf der Erde rein rechnerisch an fruchtbarem Ackerboden zu. Also hat man in Überlingen ein Grundstück abgemessen, das exakt so groß ist. Dort wird aber nicht kultiviert, was die Agrarfrau Anette Wilkening toll und richtig findet. Der Acker spiegelt vielmehr, was auf der Welt angebaut wird und in welchen Mengenverhältnissen das geschieht. Ein Bildungsprojekt, das mittlerweile von der „BiNELa gUG (Bildung, Nachhaltigkeit, Ernährung, Landwirtschaft)“ getragen wird, weil es viele wichtige Fragen aufwirft: Was ist Gerechtigkeit? Was Solidarität? Ist es in Ordnung, dass eiweißreiches Soja auf Platz vier der meist angebauten Sorten liegt, aber 90 Prozent der Erträge an Tiere verfüttert werden? Oder auch ganz schlicht: Was würde ich auf 2.000 Quadratmetern anbauen? Könnte ich davon leben? „Reicht locker“, sagt Anette Wilkening lachend, „wenn man’s richtig anstellt.“
Feine Bio-Essenzen
Sie selbst sei immer wieder fasziniert, berichtet sie weiter, wie groß so ein Feld ist, wenn man mittendrin steht. Wilkening hat als Lehrerin gearbeitet und später aus Interesse Ökologischen Landbau studiert. Der Weltacker ist ihr Herzensprojekt. Ihre Mission, die Mission des Weltackers ist eigentlich ganz einfach: „Ich wünsche mir, dass unsere Gäste mit Zuversicht und Freude vom Acker gehen. Davon brauchen wir viel mehr. Dass sie spüren: Mit allem, was ich tue, trage ich in jedem Moment meines Lebens eine Haltung in die Welt. Das heißt nicht, dass man immer alles richtig machen soll. Aber es bedeutet, dass jede und jeder einen Unterschied machen kann.“ Spricht’s und ist schon wieder unterwegs, Erbsen ernten, bevor der Regen kommt.
Christine Brugger vom Hof Brugger ist so ein Mensch, der gerne einen Unterschied macht. Der Duft von Äpfeln, Birnen und würzigen Kräutern begleitet sie von klein auf. Mit 30 möchte sie gerne als Parfümeurin arbeiten, aber dann wird sie Sensorikwissenschaftlerin und entschließt sich einige Jahre später, auf dem familiengeführten Demeterhof Gin und feine Essenzen herzustellen. Ihre Manufaktur nennt sie „Organic Distillery“. „Keine andere Alkoholspezialität ist so vielseitig wie Gin“, findet die Sensorik-Expertin. Nur der Wacholder und Wasser stehen als Zutaten fest – der Rest ist für Brugger ein wunderbares Experimentierfeld geworden: Silberwermut, Zitronenverbene und Rosenmonarde aus eigenem Anbau kommen ebenso in ihre feinen Brände wie etwa Schafgarbe von den Blühstreifen der umliegenden Felder. „Meine Destillate sind ungefiltert, sodass die wertvollen Aromen erhalten bleiben“, erzählt Christine Brugger weiter. Dass sie nur Biozutaten verwendet, hat auf dem Hof Tradition. Schon 1973 haben ihre Eltern auf Biolandwirtschaft umgestellt, seit 1983 ist der Hof Demeter-zertifiziert. Ökologischer Anbau geschieht hier, wie die Partnerschaft mit „ECHT nachhaltig“, aus tiefer Überzeugung. Ihre beiden Ginspezialitäten heißen übrigens Ginn und Ginnie und leben nicht nur von unterschiedlichen Aromen. Der erste – holzig-harzig – schmeichelt zudem Gaumenmenschen. Ginnie hingegen ist blumig-würzig und richtet sich vorrangig an Nasenmenschen. Als Wissenschaftlerin weiß die Expertin, dass Männer oft intensiver über den Gaumen, Frauen über die Nase Aromen wahrnehmen. Beidem trägt sie mit ihren Gin-Destillaten Rechnung.
Ein paar Kilometer weiter richtet Philipp Heid im Hotel Maier sein Ceviche aus Rotaugen vom See an. Vier verschiedene Tomatensorten aus der Region und frische Kräuter aus dem Garten serviert er dazu. Sein Credo: „Wir leben hier ganz nach Saison, Natur und Verfügbarkeit.“ Deshalb wird man auf der Speisekarte auch nicht immer Fisch finden, denn der Bodensee ist so nährstoffarm, dass die Fänge immer kleiner werden. Und daher steht auf der Speisekarte auch eher „regionales Gemüse“ als „mit Brokkoli“. Heid weiter: „Ich koche, was die Produzenten aus der Umgebung liefern. Wenn der eine etwas nicht hat, frage ich bei einem anderen nach. Kann der auch nicht liefern, koche ich etwas anderes.“ Geprägt wurde Heid vom großen Garten seiner Großmutter, in dem so viel Essbares wuchs, dass der kleine Philipp bei ihr auch das Einkochen und Einwecken gelernt hat. Regionalität ist bis heute seine Leidenschaft geblieben: Im Sommer versorgt sich „Die Speiserei im Maier“ fast ausschließlich mit Zutaten, die aus einem Umkreis von 30 Kilometern kommen.
Hendrik Fennel, der den Betrieb gemeinsam mit seiner Frau leitet, findet das richtig so. Er kam vor zehn Jahren vom Rheinland an den Bodensee. Schon damals setzten die
beiden auf Slow Food und Nachhaltigkeit – und darunter versteht das Paar nicht nur, nachhaltig produzierte Speisen zu servieren, sondern auch einen respektvollen Umgang mit dem eigenen Umfeld. „Egal, ob es um Mitarbeiter oder Kredite geht“, erzählt Fennel, „wir haben immer versucht, sozial verträglich zu agieren.“ Klar, dass auch er dabei ist, bei der Kooperation „Der Bodensee – ECHT nachhaltig“.
Bild:Kapitän Rainer Blumenstein auf Deck der MS Mainau; Bildnachweis: TMBW / Gregor Lengler
Quelle:Tourismus Marketing GmbH Baden-Württemberg