Berlin, 17. Nov Als sich Olaf Scholz und Emmanuel Macron am 26. Oktober in Paris zu einem Arbeitsgespräch trafen, war eines ihrer Themen die Entwicklung in den USA. Beide waren sich in der Besorgnis einig, dass US-Präsident Joe Biden mit seinem im August beschlossenen Inflation Reduction Act (IRA) – einem 370 Milliarden schweren Förderpaket für die Energiesicherheit und die Bekämpfung des Klimawandels – eine höchst bedenkliche Entwicklung ausgelöst hat, die Europa schaden könnte, wie zwei mit den Gesprächen vertraute Personen übereinstimmend der Nachrichtenagentur Reuters sagten. Sowohl Scholz als auch Macron befürchteten einen US-Subventionswettbewerb mit unfairen Mitteln. Unklar ist zwischen beiden aber, wie Europa darauf reagieren soll.
Zwar gibt auch die Europäische Union große Summen etwa für die Ansiedlung von Halbleiter- oder Batteriefabriken aus. Der Inflation Reduction Act in den USA geht aber weiter: Er bietet sehr große Subventionsangebote, drastische Steuersenkungen und verbindet diese mit Vorschriften für lokale Produktion. Die US-Kaufprämien für E-Autos gibt es etwa nur, wenn das Fahrzeug in Amerika montiert und die Batterie zu einem bestimmten Anteil dort hergestellt wird.
Zusammen mit den hohen Energiepreisen in Deutschland und Europa und dem geforderten Abbau der Abhängigkeiten von China bildet sich nun ein gefährliches Gemisch für den Standort Deutschland. DIHK-Außenwirtschaftschef Volker Treier verweist darauf, dass der Staubsauger-Effekt der Amerikaner längst begonnen hat. „Laut einer unveröffentlichten Umfrage unter den Mitgliedsunternehmen der AHKs (Außenhandelskammern) wollen 39 Prozent der Unternehmen in den USA in den kommenden Monaten höhere Investitionen tätigen, lediglich 17 Prozent verringern“, sagt Treier zu Reuters.
Nun sind Investitionen in den USA nicht automatisch kritisch. Aber Peter Carlsson, Chef des Batteriebauers Northvolt rechnete in einem Interview mit der „Frankfurter Allgemeinen Zeitung“ vor, warum er geplante Investitionen in ein neues Batteriewerk in Heide in Schleswig-Holstein zugunsten einer Fabrik in den USA zurückstellt: Für den Bau einer Fabrik wie der in Heide gebe es in Deutschland 155 Millionen Euro Subventionen – in den USA 600 bis 800 Millionen Dollar. Dort kämen noch erhebliche Subventionen während der Produktion hinzu.
GÜNSTIGE ENERGIE, WENIGER BÜROKRATIE
Schon wegen der Lokalisierungsvorschriften investieren Autokonzerne wie VW oder Mercedes nun verstärkt in Nordamerika. Auch die Firma CMBlu Energy AG will ihre neue Batterie ohne Lithium- und Kobalt-Anteil zunächst in den USA bauen, wie der Gründer Peter Geigle der „Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung“ sagte – übrigens nicht nur wegen des Geldes, sondern auch wegen der schnelleren Genehmigungen. Lanxess-Chef Matthias Zachert klingt ähnlich, wenn er seine hohen Investitionen in den USA „insbesondere mit günstigsten Energiepreisen“ begründet. Die Firmen in Europa hätten deutliche Standortnachteile, auch durch lange Genehmigungsverfahren.
Die Warnungen kommen von allen Seiten: „Wenn wir hier nichts tun, wird viel in den USA entstehen,“ sagte Siemens-EnergyENR1n.DE-Chef Christian Bruch auf der Bilanz-Pressekonferenz in München. „Das Risiko für Abwanderung … ist da.“ Mercedes-BenzMBGn.DE-Chef Ola Källenius warnte ebenfalls: „Wir laufen Gefahr, in eine Art Subventionsrennen zu geraten“, sagte er. „Vielleicht hat die EU keine Wahl, in dieses Rennen einzusteigen, wenn wir nicht zurückfallen wollen.“ Die Wirtschaftsweisen schreiben in ihrem Jahresgutachten, dass die US-Investitionen in Erneuerbare Energien zwar gut für den Klimaschutz seien, aber eine Wettbewerbsverzerrung darstellten. „Europäische Unternehmen erleiden dadurch deutliche Wettbewerbsnachteile oder müssen die Herstellung in die USA verlagern, was dem europäischen Wirtschaftsstandort schadet. Insofern ist fraglich, inwieweit solche Subventionen WTO-konform sind“, warnen die Sachverständigen.
„Ganz aktuell sind viele Unternehmen hierzulande besorgt über neue US-Steueranreize im Automobil- und Umweltbereich, die nur für die Produktion in den USA gelten und somit deutsche Firmen diskriminieren und laut Experten klar gegen WTO-Recht verstoßen“, fasst DIHK-Außenwirtschaftschef Treier die Stimmung zusammen.
„NICHT AKZEPTABEL“
Die Frage ist nun – wie soll Europa darauf reagieren? Sowohl Kanzler Scholz als auch Wirtschaftsminister Robert Habeck haben das Subventionswettlauf bereits öffentlich angesprochen. „Wir können in diesen Zeiten nicht in einen Handelskrieg gehen“, warnte Habeck im Oktober und verwies auf die sehr hohen Subventionen, die Firmen in die USA locken sollen. Die EU-Kommission, die für die europäische Handelspolitik zuständig ist, müsse eine entschiedene Antwort finden. Frankreichs Wirtschaftsminister Bruno Le Maire ist deutlicher: „Wir müssen unseren amerikanischen Partnern klar sagen, dass dies ein großes Problem für uns ist. Es ist nicht akzeptabel. Es könnte einen großen Schock für die europäische Industrie bedeuten“, sagte er vergangene Woche dem Sender BFM TV.
Während man in Frankreich nach Angaben aus Regierungskreisen eher überlegt, nun ebenfalls Vorschriften für lokale Produktion in Europa zu machen, bevorzugt Deutschland einen anderen Weg. Die Handelspolitiker der Ampel-Koalition beschlossen vorige Woche, lieber einen neuen Anlauf für ein transatlantisches Wirtschaftsabkommen zu beginnen und mit den USA den Abbau von Industriezöllen oder Marktzugangsbarrieren zu beschließen. „Der Abbau von bilateralen Handelshemmnissen ‒ inklusive Zöllen ‒ und der Einsatz für Handelserleichterungen wären angesichts der geopolitischen Umbrüche dabei gerade für kleine und mittelständische Unternehmen von großer Bedeutung“, betont auch DIHK-Außenwirtschaftsexperte Treier.
Der Präsident des Bundesverbands Großhandel, Außenhandel, Dienstleistungen (BGA), Dirk Jandura, verweist auch auf einen positiven Effekt des US-Förderprogramms: „Die umfangreichen Fiskalprogramme der Biden-Administration haben die Konjunktur in den USA so stark angekurbelt, dass nun davon auch deutsche Unternehmen erheblich profitieren“, sagte er. „Das treibt die Nachfrage nach ‚Made in Germany‘.“ Die Exporte in Richtung USA boomen jedenfalls: In den ersten acht Monaten wuchsen sie um 27,2 Prozent auf 100,2 Milliarden Euro, wie aus vorläufigen Daten des Statistischen Bundesamtes hervorgeht.
Angst vor dem „Investitions-Staubsauger“ USA geht um
Quelle: Reuters
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