Dienstag, April 30, 2024
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Hintergrund: Der Unternehmer Prigoschin und seine Wagner-Gruppe

27. Jan – Sie sind berüchtigt für ihre Skrupellosigkeit – nicht nur gegenüber dem Feind und der Zivilbevölkerung, sondern auch gegenüber den eigenen Leuten: Wagner-Söldner. In der Ukraine kämpfen sie Seite an Seite mit der russischen Armee – hohe Verluste werden in Kauf genommen. Wie viele Söldner im Einsatz sind, ist nicht genau bekannt. Die US-Regierung schätzt ihre Zahl auf 50.000 und hat Sanktionen gegen die als „bedeutende transnationale kriminelle Organisation“ eingestufte Gruppe verhängt. Die russische Regierung, die lange öffentlich Distanz zur Wagner-Gruppe wahrte, wirft den USA vor, sie grundlos zu verteufeln. Auffällig ist, dass ihr Gründer und Chef, der Unternehmer Jewgeni Prigoschin, zunehmend Präsenz zeigt. Und das, wo er erst im September erstmals öffentlich einräumte, mit der Wagner-Gruppe überhaupt etwas zu tun zu haben, die er nach eigenen Angaben schon 2014 gegründet hat und die weit mehr als eine Söldner-Truppe ist.

Prigoschin ist ein reicher russischer Geschäftsmann, dem Nähe zu Präsident Wladimir Putin nachgesagt wird. „Putins Koch“ wird er oft genannt, weil er einst ein Restaurant in St. Petersburg betrieb, in dem Putin zu speisen pflegte. Ihn darauf zu reduzieren, hieße, ihn zu unterschätzen. Manch ein Kommentator hält Prigoschin gar für den künftigen Verteidigungsminister. Ob Putin wirklich seinen langjährigen Minister Sergej Schoigu einmal verstößt, ist freilich offen. 

Es ist auch nicht klar, wie viel Einfluss Prigoschin tatsächlich in Putins Entourage hat. Aber er scheut nicht davor zurück, sich mit dem Militär und dem Verteidigungsministerium anzulegen, wie das Beispiel Soledar zeigt. Mitte Januar verkündete er, seine Männer hätten Soledar eingenommen – jene Kleinstadt in der Nähe von Bachmut im Osten der Ukraine, die für ihre riesigen Salz-Vorkommen bekannt ist. So posierte der kahlgeschorene Prigoschin in Kampfmontur inmitten seiner Getreuen in einem Salzbergwerk und sagte, sie allein hätten es erobert. Zwar lobte das Präsidialamt die „heldenhaften selbstlosen Taten“ der Kämpfer in Soledar, doch das Verteidigungsministerium schrieb den Sieg den eigenen Truppen zu. Prigoschin reagierte wütend und beschwerte sich, dass russische Angestellte seinen Einheiten nicht genügend Respekt zollten. Nur Stunden später reagierte das Ministerium mit einer „klärenden Stellungnahme“, in der es anerkannte, dass Wagner-Kämpfer mit ihren „mutigen Taten“ Soledar erobert hätten. Prompt verlieht Prigoschin seinen Kämpfern Medaillen zum Gedenken an die „Eroberung von Soledar“.

MEDAILLEN FÜR DIE EROBERUNG EINES „GROSSEN DORFES“

Dafür hat Prigoschin auch Spott geerntet. Igor Girkin, ein Nationalist und ehemaliger Geheimdienst-Mitarbeiter, der bei der Entfesselung des Krieges im Donbass 2014 mitwirkte, warf Prigoschin vor, leichtfertig mit dem Leben seiner Männer umzugehen. Girkin machte sich auch darüber lustig, dass Prigoschin Medaillen für die Eroberung eines „großen Dorfes“ verleihe. Zudem sei Waleri Gerassimow, der Mitte Januar zum Oberbefehlshaber der Truppen in der Ukraine ernannt wurde, eine Bedrohung für Prigoschin. Denn Gerassimow sei ein Verbündeter Schoigus und werde jeden Widerstand gegen den Minister unterbinden. Nur eine direkte Intervention Putins könne Prigoschin schonen, schätzt Girkin. Bleibe die aus, werde „Prigoschin sowohl aus der politischen als auch der militärischen Arena geworfen“.

Dann bliebe Prigoschin vermutlich zumindest der Zugriff auf den lukrativen Salzbergbau in Soledar und am Gipsabbau bei Bachmut, an denen Prigoschin laut US-Informationen interessiert ist – sofern die Gebiete unter russischer Kontrolle stehen. Nach russischen Angaben hat die Wagner-Gruppe bereits Militär- und Bergbauverträge in Afrika – da würde Soledar passen. Prigoschin besitzt zudem ein riesiges Catering-Unternehmen, das staatliche Einrichtungen versorgt, sowie Trollfabriken und Medien. „Im Wesentlichen ist er ein privater Geschäftsmann, der stark davon abhängig ist, wie seine Beziehungen zu den Behörden strukturiert sind“, sagt Tatiana Stanowaja, Gründerin des Analyseunternehmens R.Politik. „Das ist eine sehr verletzliche Position.“

REKRUTIERUNG IN GEFÄNGNISSEN

Putin hat wiederholt gesagt, die Wagner-Gruppe vertrete nicht den Staat. Sie verstoße nicht gegen russische Gesetze und habe das Recht, überall auf der Welt zu arbeiten und ihre Geschäftsinteressen zu fördern. Das tat die Wagner-Gruppe bereits in Syrien, Mali, Libyen und der Zentralafrikanischen Republik, wo die Sölder bei der Niederschlagung von Aufständen eingesetzt werden. 

Ursprünglich bestand die Wagner-Truppe aus Veteranen der russischen Streitkräfte. Die Regierung hat Prigoschin erlaubt, Strafgefangene zu rekrutieren und sie mit Panzern, Flugzeugen und Raketenabwehrsystemen auszurüsten – Straffreiheit gegen Kriegseinsatz. Nach US-Schätzungen folgten Prigoschins Werbung rund 40.000 Männer, die teils wegen Schwerverbrechen verurteilt waren. Anfang Januar wurden die ersten nach ihrem sechsmonatigen Einsatz auf freien Fuß gesetzt. „Trinkt nicht zu viel, nehmt keine Drogen und vergewaltigt keine Frauen“, gab Prigoschin ihnen mit auf den Weg.

Wie viele der rekrutierten Sträflinge den Krieg überlebt haben, weiß niemand. Ukrainischen Beobachtern zufolge sind sie oft schlecht ausgebildet und werden rasch an die Front geschickt – als Kanonenfutter. Dass die Wagner-Truppe rücksichtslos gegenüber den eigenen Leuten ist, könnte ein vergangenes Jahr veröffentlichtes Video zeigen. Darin ist mutmaßlich zu sehen, wie ein abtrünniger Söldner mit einem Vorschlaghammer getötet wird. 

Hintergrund: Der Unternehmer Prigoschin und seine Wagner-Gruppe

Quelle: Reuters

Symbolfoto: Bild von stayerimpact auf Pixabay

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