UPDATE Berlin, 13. Jan – Trotz Inflation, Ukraine-Krieg und anhaltender Lieferprobleme hat die deutsche Wirtschaft im vergangenen Jahr 1,9 Prozent zugelegt. Die Energiekrise verhinderte ein stärkeres Wachstum nach dem Ende der Corona-Einschränkungen. Dennoch hat die Wirtschaft erstmals wieder das Vor-Pandemie-Niveau von 2019 übertroffen, und zwar um 0,7 Prozent. „Die gesamtwirtschaftliche Lage in Deutschland war 2022 vor allem geprägt von den Folgen des Kriegs in der Ukraine, zu denen extreme Energiepreiserhöhungen zählten“, sagte die Präsidentin des Statistischen Bundesamts, Ruth Brand, am Freitag in Berlin. Ende 2022 habe das Bruttoinlandsprodukt nach ersten Einschätzungen stagniert. Damit könnte Deutschland eine Winter-Rezession gerade so erspart bleiben.
Trotz Kaufkraftverlusten wegen der Rekordinflation von 7,9 Prozent kurbelten im vorigen Jahr vor allem Verbraucherinnen und Verbraucher mit 4,6 Prozent höheren Konsumausgaben die Konjunktur an. In den ersten Corona-Jahren hatten viele Menschen wegen ausgefallener Reisen, Restaurant- oder Konzertbesuchen zusätzlich Geld gespart, das nun zumindest teilweise wieder ausgegeben wurde. Die Sparquote der privaten Haushalte sank gegenüber dem Vorjahr um rund vier Prozentpunkte auf 11,2 Prozent und näherte sich damit wieder dem Vor-Corona-Niveau. Zudem investierten Unternehmen 2,5 Prozent mehr in Ausrüstungen wie Maschinen und Fahrzeuge. Dagegen sanken die Bauausgaben wegen gestiegener Kreditkosten und Lieferengpässen um 1,6 Prozent. Die Exporte kletterten um 3,2 Prozent. Da aber die Importe mit 6,7 Prozent stärker anzogen, bremste der Außenhandel unterm Strich das Wirtschaftswachstum.
„Die wirtschaftliche Abschwächung über das Winterhalbjahr wird nach den Daten, die wir aktuell haben, milder und kürzer sein als erwartet“, sagte Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne). Das Wachstum von 1,9 Prozent zeige, dass die Staatshilfen 2022 Wirkung zeigten, betonte Bundesfinanzminister Christian Lindner (FDP). Wichtig sei nun, eine ökonomische Zeitenwende einzuleiten. Dazu gehörten steuerliche Investitionsanreize und „weniger bürokratische Fesseln“.
„VIELE UNTERNEHMEN HABEN 2022 IN EINEN ABGRUND GEBLICKT“
Die Folgen des Ukraine-Kriegs in puncto Inflation und Energiekrise belastet die Firmen. „Viele Unternehmen haben 2022 in einen Abgrund geblickt“, sagte Dirk Jandura, Präsident des Bundesverbandes Großhandel, Außenhandel, Dienstleistungen (BGA). „Wir sind nicht abgestürzt, aber wir haben das Tal des drohenden Abschwungs auch noch nicht durchschritten.“ Dies sieht die Deutsche Industrie- und Handelskammer (DIHK) ähnlich. „Die aktuelle Lage bleibt angespannt“, warnte DIHK-Hauptgeschäftsführer Martin Wansleben mit Blick auf die Energiekrise und weltweit trübe Konjunkturaussichten. Die Weltwirtschaft nähert sich nach Einschätzung des Internationalen Währungsfonds (IWF) immerhin langsam der Talsohle. Die Prognose für das Wachstum in diesem Jahr von 2,7 Prozent werde vermutlich nicht mehr weiter nach unten korrigiert, sagte IWF-Chefin Kristalina Georgiewa.
Die deutsche Wirtschaft habe sich Ende 2022 „gar nicht so schlecht“ entwickelt, sagte die Chefin der Wirtschaftsweisen, Monika Schnitzer, jüngst im Reuters-Interview. Es sei gelungen, einen Engpass in der Gasversorgung abzuwenden. „Und es ist auch für diesen Winter ganz sicher nicht davon auszugehen, dass wir eine solche Gasmangellage bekommen werden.“
Für das laufende Jahr rechnen viele Fachleute mit einer leichten Rezession. Zu dem zeitweise erwarteten schweren Konjunktureinbruch dürfte es aber nicht kommen. „Das Wirtschaftswachstum 2023 wird deutlich schwächer ausfallen und nahe der Stagnationsgrenze liegen“, sagte der wissenschaftliche Direktor des gewerkschaftsnahen IMK-Instituts, Sebastian Dullien. Denn die Wirtschaft arbeite sich gerade erst aus dem Energiepreisschock hinaus. Das Kieler Institut für Weltwirtschaft (IfW) erwartet Jahr 0,3 Prozent Wachstum. Das Münchner Ifo-Institut und das Essener RWI hingegen rechnen für 2023 je mit einem Schrumpfen um 0,1 Prozent.
Der deutsche Staatshaushalt rutschte 2022 das dritte Jahr in Folge in die roten Zahlen. Die Ausgaben von Bund, Ländern, Kommunen und Sozialversicherung überstiegen laut Statistikamt die Einnahmen um 101,6Milliarden Euro. Das entspricht einem Defizit von 2,6 Prozent des Bruttoinlandsproduktes. Es fällt damit niedriger aus als in den beiden Vorjahren, die von hohen Kosten infolge der Corona-Krise geprägt waren: 2021 lag das Defizit bei 3,7 Prozent, 2020 bei 4,3 Prozent.
Deutsche Wirtschaft wächst 2022 um 1,9 Prozent – Flaute droht
Quelle: Reuters
Symbolfoto: Bild von Qubes Pictures auf Pixabay
Hier findet ihr die aktuellen Livestream-Folgen. Mehr aus Web3, NFT und Metaverse.