Aktuelle Ausgangslage
Es vergeht seit einiger Zeit kaum ein Tag, an dem die Volksrepublik China nicht prominent in der internationalen Berichterstattung auftaucht. Die Ursachen hierfür liegen einerseits in tagesaktuellen oder verhältnismäßig kurzfristigen Ereignissen und Entwicklungen begründet, besitzen andererseits jedoch auch eine längerfristige, eher strukturelle Komponente.
Die durch den russischen Angriffskrieg in der Ukraine deutlich zutage getretene Abhängigkeit deutschen Wohlstands von einzelnen Ländern hat schließlich dazu geführt, dass vermehrt der sukzessive Abbau riskanter Abhängigkeiten auch von China gefordert wird. Der Entwurf des Auswärtigen Amtes zur ersten China-Strategie der Bundesregierung führt entsprechend aus, dass derartige Abhängigkeiten „zügig und mit für die deutsche Volkswirtschaft vertretbaren Kosten“ reduziert werden sollen.
Aus Sicht der mit China geschäftlich verbundenen deutschen und europäischen Unternehmen stellt sich die Gesamtsituation nicht weniger komplex und facettenreich dar, als sie dies auf politischer Ebene ist.
Abwägungsfragen für ausländisch investierte Unternehmen in China
Die diesjährige Auflage des von der Europäischen Handelskammer in China veröffentlichten Positionspapiers lässt wenig Zweifel daran, wie es gegenwärtig um die Stimmung bei vielen ausländischen Unternehmen in China bestellt ist. In einer Gesamtschau steht der Umgang der chinesischen Regierung mit der Covid-19-Pandemie zumeist entweder direkt oder indirekt im Zusammenhang mit als besonders belastend wahrgenommenen Geschäftsbarrieren.
Andererseits finden sich unter den von befragten Unternehmen vorgetragenen Hürden an vorderer Stelle auch Umstände, deren Ursprung eher in der chinesischen Wirtschaftspolitik und Regulierung zu finden ist (mehrdeutige Bestimmungen in Gesetzen und Verordnungen, ungerechtfertigte Benachteiligung gegenüber chinesischen Konkurrenten, sonstige Schranken beim Markteintritt und im Geschäftsbetrieb).
Diesen Geschäftsbarrieren stehen jedoch eine ganze Reihe von Argumenten gegenüber, die für die meisten deutschen und europäischen Unternehmen eine Entfaltung neuer bzw. Fortführung bestehender Aktivitäten im chinesischen Markt als alternativlos erscheinen lassen:
- Nach wie vor riesiger Absatzmarkt, der mittel- bis langfristig einer der Hauptgründe für Investitionen in China bleiben wird.
- Fortgesetztes Wirtschaftswachstum, in jüngerer Vergangenheit zwar deutlich geringer als die Jahre zuvor, jedoch immer noch hoch im Vergleich zu anderen Industrienationen;
- Gut etabliertes Netzwerk an Zulieferern, Geschäftspartnern und Kunden;
- Sehr weit entwickelte industrielle Cluster mit zahlreichen attraktiven Anreizen für ausländische Investitionen (z.B. Steuervergünstigungen, günstiger Landerwerb, Subventionen, beschleunigte Verwaltungsverfahren, u.v.m.);
- Fortschrittliche und (grundsätzlich) effiziente Logistikinfrastruktur im Innen- und Außenhandel;
- Insgesamt solide entwickeltes Rechtssystem zur Gewährung, dem Schutz und der Durchsetzung der unternehmerisch wichtigsten Rechtspositionen;
- Vielversprechende Möglichkeiten für Forschung und Entwicklung (F&E), v.a. in von der chinesischen Regierung definierten Schlüsselindustrien (z.B. intelligente Fertigung und Infrastrukturen, grüne Technologien, Medizin- und Pharmaindustrie);
- Gigantischer Talentpool mit vergleichsweise gut ausgebildeten Fachkräften;
Hinzu kommt, dass sowohl regulatorische Anforderungen wie aus dem Bereich der Cybersicherheit und des Datenschutzes als auch die explizite Nachfrage am chinesischen Markt nach mehr „lokalen“ Produkten viele ausländische Unternehmen dazu veranlassen, sich noch intensiver damit auseinanderzusetzen, welche Maßnahmen unter den geänderten Bedingungen erforderlich werden. Dies kann etwa die Verlagerung von Teilen der Produktion und/oder F&E-Aktivitäten nach China, der Aufbau lokaler IT-Infrastrukturen oder die Einstellung und gezielte Förderung lokaler Fachkräfte beinhalten.
Fazit und Ausblick
Die oben gegenüber gestellten Faktoren betreffen im Grunde alle ausländischen Unternehmen in China, deren Gewichtung ist jedoch stark von der konkreten Situation im jeweiligen Unternehmen abhängig. Die Reduzierung einseitiger Abhängigkeiten kann für einige Unternehmen eine realistische Option sein, für viele andere ist eine solche aber nicht oder nur schwer in absehbarer Zeit darstellbar.
Der Aufbau von bzw. die Eingliederung in Wertschöpfungsketten sind ebenso zeit- und kostenintensiv wie das Unterfangen, im Unternehmen ein gutes Verständnis der rechtlichen, wirtschaftlichen und sozialen Gegebenheiten eines Landes zu entwickeln. Zudem mangelt es vielen Unternehmen sowohl in Asien als auch in anderen Weltregionen an adäquaten Alternativen, die mit einem vergleichbar umfassenden Angebot an attraktiven Standortfaktoren wie China aufwarten können.
Letztlich ist und bleibt China daher für deutsche und europäische Unternehmen ein bevorzugter Investitionsstandort, wenngleich sich das Geschäftsumfeld und einige zentrale Spielregeln in den letzten Jahren geändert haben. Eine intensive und kritische Beschäftigung mit den geänderten Bedingungen ist dabei genau so wichtig wie das zeitnahe Ergreifen von Maßnahmen, um alle für das Unternehmen relevanten Risiken rechtzeitig zu erkennen und bestmöglich zu minimieren. Dies beinhaltet auch und vor allem die kontinuierliche Überprüfung des eigenen Compliance Management Systems, um mit dem immer dichter und effektiver vernetzten Geflecht chinesischer Vorschriften aus den verschiedensten Bereichen (z.B. Wettbewerbs- und Kartellrecht, Steuern, Gesellschaftsrecht, Umwelt, Cybersicherheit/Datenschutz, Produktsicherheit, etc.) umgehen zu können.
Autoren
Sebastian Wiendieck ist Rechtsanwalt und Partner bei Rödl & Partner in China und betreut in Shanghai mit seinem Team vorwiegend deutsche und europäische Unternehmen, die in China durch Tochtergesellschaften bzw. Niederlassungen vertreten sind oder sich anderweitig im chinesischen Markt engagieren wollen.
Felix Engelhardt ist Rechtsanwalt und als Senior Associate bei Rödl & Partner in Shanghai tätig. Seit 2018 berät er ausländische Unternehmen in unterschiedlichen Bereichen ihres Chinageschäfts, insbesondere zu investitions-, handels- und gesellschaftsrechtlichen Fragen, zum Schutz geistigen Eigentums sowie zu den Themen Cybersicherheit und Datenschutz.
Titelfoto: Bild von Gerd Altmann auf Pixabay
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