München, 07. Feb (Reuters) – Die Bundesregierung will Aktionären künftig bei virtuellen Hauptversammlungen von Unternehmen im Wesentlichen die gleichen Rechte einräumen wie bei herkömmlichen Präsenz-Versammlungen.
Nach einem der Nachrichtenagentur Reuters am Montag vorliegenden Gesetzesentwurf ist unter anderem ein Rederecht von Aktionären über Video-Schaltungen vorgesehen. Allerdings müssen sie ihren Wunsch bei virtuellen Versammlungen mindestens vier Tage vorher anmelden.
Dadurch sollen die Aktionärstreffen, die bei großen, börsennotierten Unternehmen mitunter zehn Stunden dauern, „entzerrt“ werden, wie es in dem Referentenentwurf heißt. Über die Umstellung auf eine virtuelle Hauptversammlung anstelle der Präsenzversammlung sollen die Aktionäre selbst entscheiden.
Seit knapp zwei Jahren finden fast alle Hauptversammlungen in Deutschland wegen der Corona-Pandemie im virtuellen Format statt.
Die Bundesregierung hatte die Aktionärsrechte bei der Einführung deutlich beschnitten. So war eine Anfechtung nicht möglich, Fragen und Stellungnahmen der Anteilseigner konnten nur schriftlich eingereicht werden, mussten nicht einzeln vorgelesen werden und wurden gebündelt beantwortet. Dadurch hatten sich die Veranstaltungen deutlich verkürzt.
Die Ausnahmeregelung läuft aber Ende August aus. Das virtuelle Format habe sich „im Großen und Ganzen bewährt“, heißt es in der Einleitung des Entwurfs, der in dieser Woche den Verbänden für Stellungnahmen zugeleitet werden soll. Vor allem ausländische Aktionäre könnten virtuelle Hauptversammlungen leichter verfolgen.
Viele Unternehmensvorstände sprachen sich zunächst auch für die Zeit nach der Pandemie für virtuelle Aktionärstreffen aus. Die Begeisterung ist allerdings nach einer Reuters-Umfrage abgekühlt, nachdem die Ampel-Koalition versprochen hatte, dabei die Rechte der Aktionäre in vollem Umfang zu wahren.
Das schlägt sich auch in den Entwurf nieder. Die Aktionäre sollen künftig wieder direkt in der Hauptversammlung Anträge – allerdings keine formellen Gegenanträge – stellen können. Ihre schriftlichen oder per Video übermittelten Stellungnahmen müssen veröffentlicht werden.
Das Unternehmen soll Reden von Vorstand und Aufsichtsrat sechs Tage vorher herausgeben, damit Aktionäre darauf reagieren können. Reden und Fragen von Aktionären sollen auch direkt in der Hauptversammlung möglich sein, aber nur nach vorheriger Anmeldung. Zahl und Dauer kann der Aufsichtsratschef – wie bei Präsenz-Hauptversammlungen auch – begrenzen.
Ein Quorum, also eine Mindestzahl von Aktien, die für ein Rede- oder Anfechtungsrecht erforderlich ist, sieht der Entwurf nicht vor. Eine Anfechtung von Beschlüssen aus rein technischen Gründen – etwa durch eine gestörte Internet-Übertragung – ist ausgeschlossen.
Auch das Bundesjustizministerium rechnet offenbar nicht damit, dass virtuelle Hauptversammlungen künftig zur Regel werden. „Grundform“ bleibe die Präsenz-Hauptversammlung, auch wenn sie vor allem für große Unternehmen deutlich teurer sei. Etwa zehn Prozent der Aktionärstreffen dürften künftig virtuell abgehalten werden, schätzen die Experten im Ministerium.
Über die Veranstaltungsform entscheiden sollen die Aktionäre jeweils für fünf Jahre durch Satzungsbeschluss. Für die erste Hauptversammlungs-Saison nach der geplanten Änderung – also bis August 2023 – darf der Vorstand über das Format entscheiden.
Bundesregierung will weitreichende Aktionärsrechte bei Online-HV
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