Kiew/Mikolajiw, 19. Okt – Russlands Präsident Wladimir Putin hat in den vier annektierten ukrainischen Gebieten das Kriegsrecht verhängt. Dies erklärte das Staatsoberhaupt in einer am Mittwoch im Fernsehen ausgestrahlten Beratung mit seinem Sicherheitsrat. Damit dürften die Freiheiten der in Cherson, Saporischschja, Luhansk und Donezk lebenden Ukrainer noch einmal erheblich eingeschränkt werden.
Zugleich baute Putin die Machtfülle der russischen Regionalgouverneure in den vier Regionen aus. Die Schritte gelten als weitere Reaktion auf die zuletzt immer wieder erfolgreiche Gegenoffensive der ukrainischen Streitkräfte. In der russisch besetzten Stadt Cherson ordneten die Behörden in Erwartung eines Angriffs eine Evakuierung der Zivilbevölkerung an.
Putin verfügte zudem die Bildung eines Koordinierungsrats unter Führung von Ministerpräsident Michail Mischustin, um die stockende Offensive zu unterstützen. Der gesamte Staatsapparat müsse die „militärische Spezialoperation“ – wie der Angriffskrieg gegen die Ukraine in Russland genannt werden muss – unterstützen. In einer Anordnung des Präsidialamts wurde auch in acht an die Ukraine grenzenden russischen Regionen eine „wirtschaftliche Mobilisierung“ angeordnet. Zu den acht Regionen gehört auch die ukrainische Halbinsel Krim, die Russland bereits 2014 völkerrechtswidrig annektiert hatte.
Die ukrainische Regierung reagierte gelassen auf die jüngsten Schritte Putins, die als weitere Eskalation in den nunmehr seit knapp acht Monaten tobenden Angriffskrieg gelten. Präsidentenberater Mychailo Podoljak erklärte: „Das von Russland verhängte Kriegsrecht in besetzten Gebieten bedeutet nichts weiter als eine Pseudo-Legitimierung für die Plünderung ukrainischen Eigentums.“ Für die Ukraine ändere dies nichts. „Wir werden mit der Befreiung und Beendigung der Besetzung weitermachen“, sagte Podoljak.
Der Chef des Präsidialamts in Kiew, Andrij Jermak, warf Russland zudem vor, in Cherson eine Propaganda-Show zu veranstalten. „Die Russen versuchen, die Einwohner von Cherson mit Falschnachrichten über den Beschuss der Stadt durch unsere Armee einzuschüchtern und veranstalten außerdem eine Propagandashow mit Evakuierungen“, schrieb er auf dem Kurznachrichtendienst Telegram. „Propaganda wird nicht funktionieren.“
„KEIN PLATZ FÜR ZIVILISTEN“
Das russische Staatsfernsehen strahlte Bilder aus, auf denen Menschen zu sehen sein sollen, die aus der Stadt Cherson fliehen in Richtung des von Russland besetzten Gebietes. Kirill Stremousow, Vize-Chef der von Russland installierten Verwaltung, appellierte an die Bevölkerung, die Stadt zu verlassen, nachdem die russischen Streitkräfte in den vergangenen Wochen 20 bis 30 Kilometer zurückgedrängt worden seien.
Verwaltungschef Wladimir Saldo kündigte laut amtlicher russischer Nachrichtenagentur Tass an, in den nächsten sechs Tagen sollten rund 50.000 bis 60.000 Menschen an das Ostufer des Flusses Dnipro oder nach Russland gebracht werden. „Die ukrainische Seite zieht ihre Truppen für eine großangelegte Offensive zusammen“, sagte er. „Wo das Militär aktiv ist, ist kein Platz für Zivilisten.“ In den kommenden sieben Tagen sei der Zutritt für Zivilisten verboten, sagte Saldo im staatlichen Fernsehen. Der Schritt sei nötig, um die Zivilbevölkerung zu schützen. In den vergangenen zwei Tagen hätten bereits mehr als 5000 Menschen Cherson verlassen. Die Angaben aus dem Kriegsgebiet lassen sich nicht unabhängig verifizieren.
Sein Stellvertreter Kirill Stremoussow sagte, die ukrainischen Truppen könnten die Stadt Cherson und vor allem das Westufer des Dnipro unter Beschuss nehmen. Wer die Stadt verlasse, erhalte Zuflucht in Russland. „Ich forderte Sie auf, meine Worte ernst zu nehmen und sie umzusetzen: die schnellstmögliche Evakuierung“, sagte er. „Wir haben nicht vor, die Stadt aufzugeben, wir werden bis zum letzten Moment durchhalten.“
Der neue Oberbefehlshaber der russischen Truppen in der Ukraine räumte ein, dass die Lage in der Region schwierig sei. Die Situation könne als angespannt bezeichnet werden, sagte Sergej Surowikin dem Sender Rossija 24. „Der Feind greift gezielt Infrastruktur und Wohngebäude an.“ Cherson war die erste ukrainische Großstadt, die nach der Invasion am 24. Februar unter russische Kontrolle geraten war. Vor dem Krieg lebten rund 280.000 Menschen in der Stadt.
Putin erklärt Kriegsrecht in besetzten Gebieten
Quelle: Reuters
Titelfoto: Symbolfoto
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