Update London/Berlin, 05. Sep – Die Nachfolgerin des zurückgetretenen britischen Premierminister Boris Johnson heißt Liz Truss. Die 47-Jährige setzte sich in einem über Wochen hinweg mit harten Bandagen geführten Wettstreit um die Führung der Konservativen Partei gegen ihren Rivalen Rishi Sunak durch. Wie in Großbritannien üblich ist Truss als neue Vorsitzende automatisch auch als Regierungschefin gesetzt, da die Konservativen derzeit im Unterhaus die Mehrheit haben. Truss übernimmt ein schwieriges Erbe: Großbritannien ist mit einer galoppierenden Inflation konfrontiert und droht in eine Rezession zu stürzen. Millionen Familien haben Angst, im bevorstehenden Winter ihre Strom- und Heizrechnungen nicht mehr bezahlen zu können. Hinzu kommen Unsicherheiten durch den Krieg in der Ukraine, die Corona-Pandemie und den Brexit.
In einer kurzen Siegesrede kündigte Truss ohne Details zu nennen einen „kühnen Plan“ an, der Steuerkürzungen und Wirtschaftswachstum vorsehe. Ihre Partei rief sie dazu auf, in den kommenden zwei Jahren bis zur nächsten Parlamentswahl Ergebnisse zu liefern. Gleichzeitig bedankte sie sich bei ihrem Vorgänger Johnson, den sie als Freund bezeichnete, für dessen Leistung.
Johnson hatte nach einer Reihe von Skandalen und Ministerrücktritten auf massiven Druck aus der Öffentlichkeit und der eigenen Partei im Juli seinen Rücktritt erklärt. Daraufhin begann bei den Konservativen die Nachfolge-Suche, während der in Ungnade gefallene Premier geschäftsführend weiter im Amt blieb. Das letzte Wort hatten die Parteimitglieder, die mehrere Wochen Zeit hatten, über die Neubesetzung des Tory-Chefsessels abzustimmen. Johnsons Außenministerin Truss, die als ihr Vorbild die frühere Premierministerin Margaret Thatcher nennt, entpuppte sich schnell als Favoritin der Basis, insbesondere beim rechten Flügel der Tories und bei Brexit-Hardlinern. Am Ende erhielt sie 81.326 Stimmen, knapp 21.000 mehr als Ex-Finanzminister Sunak, wie die Partei am Montag mitteilte.
Mit Bekanntgabe des Abstimmungsergebnisses beginnt nun der formelle Prozess der Amtsübergabe. Johnson wird am Dienstag bei Königin Elisabeth erwartet, um ihr offiziell seinen Rücktritt anzubieten. Anschließend soll Truss mit der Bildung einer Regierung beauftragt werden.
REGIEREN IM ZEICHEN VON KRIEG UND INFLATION
In ihrer Siegesrede bekräftigte Truss einige ihrer Versprechen, die sie in den vergangenen Wochen gemacht hatte. „Ich habe als Konservative Wahlkampf gemacht, und ich werde als Konservative regieren.“ Sie werde die Energiekrise angehen, insbesondere die Energierechnungen sowie die Frage, wie die Energieversorgung langfristig geregelt werden soll. Auch diesmal erläuterte sie nicht näher, was sie konkret vorhat. Johnson erklärte, er wisse, dass Truss „den richtigen Plan“ habe, um es mit den Lebenshaltungskosten aufzunehmen und die Partei sowie das Land zu einen. „Jetzt ist die Zeit für alle Konservativen, sich zu 100 Prozent hinter sie zu stellen.“ Dem pflichtete der unterlege Sunak bei: „Es ist richtig, dass wir uns jetzt hinter der neuen Premierministerin Liz Truss vereinen, während sie das Land durch schwierige Zeiten steuert.“
Im Wahlkampf versprach Truss, binnen einer Woche nach ihrem Einzug in die Downing Street 10 einen Plan zur Eindämmung der explodierenden Energiekosten vorzulegen. Mehrfach kündigte sie Steuerkürzungen an – ungeachtet der Warnungen einiger Fachleute, dass dadurch die Inflation noch weiter befeuert werden könnte. Auch in der Finanzwelt machte sich Skepsis breit, besonders nachdem Truss sagte, sich die Rolle der für die Geldpolitik zuständigen Notenbank genauer ansehen zu wollen. Einige Investoren zogen sich daraufhin aus britischen Staatsanleihen und Anlagen in Pfund zurück.
Außenpolitisch hat Truss sich allein schon aufgrund ihrer bisherigen Rolle als Großbritanniens Chefdiplomatin klarer positioniert. Wie Johnson ist sie als entschiedene Unterstützerin der Ukraine im Krieg gegen Russland aufgetreten. Es wird damit gerechnet, dass die ukrainische Hauptstadt Kiew Ziel einer ihrer ersten Auslandsreisen sein wird. In der Europäischen Union dürfte man dagegen darauf gefasst sein, dass das Gezerre um die Ausgestaltung der künftigen Beziehungen anhält. War Truss vor dem Referendum von 2016 noch für einen Verbleib Großbritanniens in der Staatengemeinschaft eingetreten, ist sie inzwischen eine glühende Verfechterin des Brexit.
EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen erklärte per Twitter, sie freue sich auf eine konstruktive Zusammenarbeit mit der neuen Premierministerin und erwarte, dass unter Truss Großbritannien alle Aspekte der Brexit-Vereinbarung einhalten werde. Bundeskanzler Olaf Scholz gratulierte Truss in einem englischen Tweet zu ihrer „neuen Rolle“. Großbritannien und Deutschland würden weiterhin eng zusammenarbeiten, als Partner und Freunde.
Liz Truss wird britische Premierministerin
Quelle: Reuters
Titelfoto: Symbolfoto
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