Paris/Berlin, 16. Jun (Reuters) – Der französische Präsident Emmanuel Macron, Bundeskanzler Olaf Scholz und Italiens Ministerpräsident Mario Draghi sind am Donnerstag zu einem lange erwarteten Besuch in der ukrainischen Hauptstadt Kiew eingetroffen. „Das ist ein wichtiger Moment. Es ist eine Botschaft der Einigkeit, die wir den Ukrainern senden“, sagte Macron bei seiner Ankunft in Kiew. „Ziel ist es, Präsident Wolodymyr Selenskyj ein klares Signal der Solidarität Europas zu übermitteln“, twitterte Regierungssprecher Steffen Hebestreit. Auch der rumänische Präsident Klaus Iohannis nehme an dem Besuch teil.
Die ukrainische Regierung hatte die drei EU-Staaten zuvor dafür kritisiert, dass sie das Land nach dem russischen Angriff am 24. Februar nicht ausreichend unterstützt hätten. Der ukrainische Botschafter in Deutschland, Andreij Melnyk, sagte der „Rheinischen Post“, Kiew erwarte in erster Linie, dass Scholz endlich grünes Licht für die erbetenen 88 Leopard-1-Kampfpanzer und 100 Marder-Schützenpanzer gebe, die der Konzern RheinmetallRHMG.DE sofort liefern könne.
Das EU-Trio war mit dem Nachtzug nach Kiew gereist. Scholz war seit Wochen auch aus der Ampel-Koalition aufgefordert worden, ebenso wie zahlreiche andere EU-Regierungschefs nach Kiew zu reisen. Auf die Frage, warum der Besuch gerade jetzt stattfinde, antwortete ein Beamter des Elysée, man habe es für das Beste gehalten, ihn kurz vor einem EU-Gipfel in der nächsten Woche durchzuführen, auf dem die Bewerbung Kiews um den Beitritt zur 27-köpfigen Union erörtert werden soll. Die EU-Kommission will dazu am Freitag eine Empfehlung abgeben. Scholz stand innenpolitisch unter erheblichem Druck, weil er auch aus FDP und von den Grünen für einen zu zögerlichen Kurs kritisiert worden war. In Regierungskreisen hieß es, Scholz werde in Kiew keine konkreten neuen Zusagen machen.
Ob das EU-Trio der Ukraine eine Zusage zum Kandidatenstatus machen wird, gilt ebenfalls als unsicher. „Es muss ein Gleichgewicht gefunden werden zwischen den natürlichen Bestrebungen der Ukraine, der EU zu einem ganz besonderen Zeitpunkt beizutreten, und der Aufmerksamkeit für alle Länder, die bereits den Kandidatenstatus haben und in den Verhandlungskapiteln feststecken, sowie der Tatsache, dass wir die EU nicht destabilisieren oder spalten dürfen“, hieß es in französischen Regierungskreisen.
LAMBRECHT – MEHRFACHRAKETENWERFER ENDE JULI LIEFERBAR
Scholz selbst hatte Kritik an mangelnden Waffenlieferungen mit dem Hinweis zurückgewiesen, dass Deutschland in Abstimmung mit westlichen Partnern Waffen bereitstelle. Deutschland und die Niederlande wollen etwa zwölf Panzerhaubitzen 2000 an die Ukraine liefern. Dazu sind in Deutschland ukrainische Soldaten ausgebildet worden. Zudem hat die Regierung etwa die Lieferung des Luftabwehrsystems Iris-T zugesagt. Thema der Gespräche in Kiew dürfte auch der von der Ukraine geforderte Kandidatenstatus für einen EU-Beitritt sein. Die EU-Kommission will hierzu am Freitag einen Vorschlag machen. Die Bundesregierung hat nach Angaben des Wirtschaftsministeriums allein in der Zeit vom 24. Februar 2022 bis 1. Juni 2022 die Ausfuhr von Rüstungsgütern in die Ukraine in Höhe von insgesamt mehr als 350 Millionen Euro genehmigt.
Bundesverteidigungsministerin Christine Lambrecht sagte vor dem Nato-Verteidigungsministertreffen, die drei Mehrfachraketenwerfer, die Deutschland der Ukraine zugesagt hatte, könnten im Juli oder August geliefert werden. „Das Training an diesen Mehrfachraketenwerfern kann Ende Juni beginnen, was bedeutet, dass sie Ende Juli oder Anfang August ausgeliefert werden können“, erklärte sie in Brüssel.
Das britische Verteidigungsministeriums teilte unterdessen mit, dass es der Ukraine mutmaßlich gelungen sei, einen großen Teil ihrer Kampftruppen aus der Stadt Sjewjerodonezk abzuziehen. Zudem würden Russlands Truppen in Sjewjerodonezk dort wohl den Fluss überqueren oder an seinen Flanken vorrücken müssen, nachdem alle Hauptbrücken über den Fluss Siwerski, der die Stadt mit dem von der Ukraine gehaltenen Gebiet verbindet, wahrscheinlich zerstört worden seien. Russlands Kampftruppen im Donbass operierten höchstwahrscheinlich in zunehmend ad hoc gebildeten und stark unterbesetzten Verbänden, heißt es in einem auf Twitter veröffentlichten Geheimdienstbericht.
Macron, Scholz und Draghi treffen in Kiew ein
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