Beirut, 15. Mai (Reuters) – Im Libanon hat am Sonntag die Parlamentswahl begonnen. Im Blickpunkt steht dabei die vom Iran unterstützte Hisbollah, die sich bei der vorhergehenden Abstimmung 2018 zusammen mit ihren Verbündeten 71 der 128 Parlamentssitze sichern konnte. Seitdem ist das Land in eine extreme Wirtschaftskrise gerutscht, viele verarmte Libanesen treibt eine große Wut auf die Regierungsparteien an. Dennoch trauen einige Experten der schiitischen Hisbollah zu, ihre Macht noch weiter auszubauen. Hintergrund ist der Rückzug des führenden Sunniten-Politikers Saad al-Hariri, der seinen Abgang im Januar mit großer Verbitterung verkündet und quasi mit einem Aufruf zum Wahlboykott verbunden hatte.
Monatelang blieb unklar, ob die Wahl in dem Vielvölkerstaat am Mittelmeer überhaupt stattfinden würde. Zuletzt wurden Warnungen vor Stimmenkauf laut: So könnten Kandidaten versuchen, besonders hart von der Wirtschaftskrise getroffene Familien mit Lebensmittelpaketen und Benzingutscheinen auf ihre Seite zu ziehen. Die Wahlberechtigten über 21 Jahren müssen für die Stimmabgabe in die angestammten Städte und Dörfer ihrer Familie reisen, die oft weit von ihrem aktuellen Wohnort entfernt liegen. Drei Viertel der Libanesen sind mittlerweile unter die Armutsgrenze gerutscht.
Einige Experten gehen davon aus, dass die Wut auf die regierenden Politiker reformorientierten Kandidaten zu einigen Parlamentssitzen verhelfen könnte. Doch große Veränderungen werden in dem streng nach Proporz organisierten Regierungssystem nicht erwartet. Von den rund sieben Millionen Libanesen sind schätzungsweise je knapp 30 Prozent schiitische und sunnitische Muslime, rund 40 Prozent sind Christen.
Die christliche Partei von Präsident Michel Aoun, die Freie Patriotische Bewegung, gehört aktuell zur Regierungskoalition mit der Hisbollah, deren schwer bewaffnete Miliz von der EU und den USA als Terrororganisation eingestuft wird. Das Parlament, das am Sonntag gewählt wird, muss selbst noch in diesem Jahr über den Staatspräsidenten entscheiden. Aouns Amtszeit endet am 31. Oktober. Auch lange aufgeschobene Reformen stehen an, die der Internationale Währungsfonds (IWF) vor der Bewilligung von Hilfsgeldern zur Bewältigung der Krise fordert.