1.Einleitung
Die technische Marktanalyse dient als Fundament für zahlreiche Investitionsstrategien, die sowohl von privaten als auch institutionellen Anlegern angewandt werden. Durch die Analyse historischer Preisbewegungen und Handelsvolumina versucht sie, zukünftige Marktbewegungen vorherzusagen. In einem meiner letzten Artikel habe ich an Hand einer einfachen Formation (die Flagge – nach dem K.I.S.S: Prinzip) den Sprung im Dax von 15200 auf 15800 „vorhergesehen“.
Im Zentrum dieses Artikels stehen nun zwei kontrastierende Konzepte: der Kauf bei Stärke, exemplifiziert durch das Überschreiten neuer Höchstkurse, und die sich öffnende Wedge-Formation, ein Muster, das auf steigende Marktunsicherheit und potentielle Wendepunkte hindeutet. Diese Ansätze spiegeln nicht nur die Vielfalt der technischen Analyse wider, sie zeigen in diesem Fall zudem seine Gegensätzlichkeit auf. Auch tiefgreifende Aspekte der Behavioral Finance werden berührt, wie FOMO (Fear of Missing Out) und Verlustaversion, welche die Entscheidungsfindung von Investoren wesentlich beeinflussen. Durch die Verknüpfung dieser Konzepte mit aktuellen Marktbeobachtungen, insbesondere im Kontext des deutschen Aktienindex (DAX), zielt dieser Artikel darauf ab, ein umfassendes Verständnis der Dynamik an den Finanzmärkten zu vermitteln und die Leserschaft für die psychologischen Aspekte des Investierens zu sensibilisieren.
2. Kauf bei Stärke
Der „Kauf bei Stärke“ ist eine Investitionsstrategie, die darauf abzielt, Wertpapiere zu erwerben, die eine positive Dynamik aufweisen, indem sie beispielsweise neue Höchstkurse erreichen. Diese Methode basiert auf der Annahme, dass Aktien (oder Wertpapier-Assets mit hoher Liquidät im Allgemeinen), die kürzlich Höchststände durchbrochen haben, aufgrund von anhaltendem Kaufinteresse und positiver Marktstimmung weiterhin gut performen werden. Anleger, die dieser Strategie folgen, leiten ihre Entscheidungen oft aus der technischen Analyse ab, indem sie Muster und Trends in den Preisbewegungen von Wertpapieren identifizieren. Der Kauf bei Stärke spiegelt ein grundlegendes Vertrauen in das Fortbestehen eines Aufwärtstrends wider und ist eng mit dem Phänomen FOMO (Fear of Missing Out) verknüpft, da Investoren Teil der erwarteten weiteren Gewinne sein möchten. Die Strategie unterstreicht die Wichtigkeit von Momentum und Trendfolge in der Anlageentscheidung, wobei sie die Behavioral Finance berührt, indem sie menschliche Emotionen und psychologische Verhaltensmuster bei der Investitionsentscheidung berücksichtigt.
2.1. Einschub: TURTLE TRADER – Ihre Strategie und ihre Relevanz
Die Turtle Trading Strategie, entwickelt von Richard Dennis in den 1980er Jahren, ist ein Paradebeispiel für trendfolgendes Handeln, das auf mechanischen Regeln basiert. Dennis wettete, dass er einer beliebigen Gruppe von Menschen seine Handelsregeln beibringen könnte und dass diese daraufhin erfolgreich handeln würden. Die „Turtles“, wie sie genannt wurden, erzielten innerhalb von fünf Jahren über 175 Millionen Dollar Gewinn, was die Wirksamkeit der Strategie unter Beweis stellte.
Die Strategie umfasst klare Regeln für Ein- und Ausstiege, Positionsgrößenbestimmung und das Setzen von Stop-Loss-Orders. Ein wesentlicher Aspekt ist das Konzept des „Folgens von Trends“, bei dem auf Basis vorher festgelegter Signale (wie dem Durchbrechen eines 20-Tage-Hochs) Positionen eröffnet werden. Diese mechanische Herangehensweise zielt darauf ab, emotionale Entscheidungen und menschliches Urteilsvermögen aus dem Handelsprozess zu entfernen und stattdessen auf klar definierte Regeln zu setzen.
Die Turtle Trading Regeln schreiben vor, dass Positionen in Richtung des Trends eröffnet werden sollen, sobald ein Markt ein neues 20-Tage-Hoch oder -Tief erreicht. Es wird eine Positionserweiterung vorgenommen, wenn der Trend sich fortsetzt, und ein Ausstieg erfolgt bei einem signifikanten Rückgang gegen die Position, um Verluste zu begrenzen und Gewinne zu maximieren. Die Turtles wurden angehalten, eine Vielzahl von Märkten zu handeln, um Diversifikation und Risikomanagement zu gewährleisten.
Verbindung zu Behavioral Finance
Die Turtle Trading Strategie illustriert, wie emotionale Entscheidungsfindung durch mechanische Regeln ersetzt werden kann, was einen starken Bezug zu Prinzipien der Behavioral Finance herstellt. Die Strategie zielt darauf ab, die häufigen psychologischen Fallen des Handels wie FOMO (Fear Of Missing Out) oder die Verlustaversion zu umgehen, indem sie eine systematische Herangehensweise anbietet, die auf langfristig positive Erwartungswerte setzt, statt auf kurzfristige emotionale Reaktionen. Und gleichzeitig nutzt sie genau diese Fallstricke menschlichen Verhaltens aus!
Aktuelle Anwendbarkeit und Kritik
Trotz des historischen Erfolgs der Turtle Trader haben Kritiker angemerkt, dass die Strategie in bestimmten Marktsituationen, insbesondere in Seitwärtsmärkten, zu Verlusten führen kann. Trendfolgestrategien, wie die der Turtles, neigen dazu, in stark trendenden Märkten gut zu performen, können jedoch in volatilen oder richtungslosen Märkten, wo häufige Fehlausbrüche auftreten, weniger effektiv sein. Dennoch bleibt die Turtle Trading Strategie ein faszinierendes Beispiel dafür, wie diszipliniertes Befolgen von Handelsregeln und effektives Risikomanagement zum Erfolg im Handel führen können
3. Die sich öffnende Wedge-Formation
Die sich öffnende Wedge-Formation ist ein technisches Analysemuster, das sich durch zunehmende Preisschwankungen auszeichnet und auf eine wachsende Unsicherheit im Markt hindeutet. Im Gegensatz zu traditionellen Wedge-Formationen, die eine Konvergenz der Preise zeigen, weiten sich die Preise bei dieser Formation aus, was auf divergierende Meinungen der Investoren und potenzielle Volatilität hinweist. Diese Formation wird oft als Vorläufer für eine Marktumkehr betrachtet, was sie zu einem kritischen Signal für technische Analysten macht, die nach Anzeichen für Wendepunkte im Markt suchen. Die Analyse und Interpretation einer sich öffnenden Wedge-Formation erfordert ein tiefes Verständnis der Marktbedingungen und -psychologie, da sie auf eine Periode der Unsicherheit und möglicherweise bevorstehender signifikanter Preisbewegungen hinweist.
Als Skizze (in Anlehnung an aktuellem DAX Kursverhalten)
Im Chart
Hier zu sehen: der Dax im Tageschart (Bildquelle: Stock3).
Schauen wir uns beispielhaft nur die „Kauf bei Stärke“ Situation (Überschreiten neuer Höchststände; blaue Pfeile) an.
Selbstverständlich gilt dies auch grundsätzlich für die Shortseite, (rote Pfeile) auch wenn wir hier nicht von FOMO im klassischen Sinne sprechen können: Die Angst „einen Anstieg und damit Wertzuwachs im eigenen Depot („Glücksgefühl“) zu verpassen ist hier nicht ganz treffend. Aber in Zeiten in denen Anleger ohne großen Aufwand auch leerverkaufen können (z Bsp. CFD Handel, oder Future-Trading) sei dies der Vollständigkeit halber hier ebenfalls eingezeichnet.
Der menschliche Faktor
FOMO (Fear of Missing Out) und Verlustaversion sind zentrale Konzepte der Behavioral Finance, die erklären, wie psychologische Faktoren Anlageentscheidungen beeinflussen. FOMO beschreibt die Angst, eine vorteilhafte Gelegenheit zu verpassen, was oft zu impulsiven oder riskanten Investitionsentscheidungen führt. Verlustaversion hingegen bezieht sich auf die Tendenz, Verluste stärker zu gewichten als Gewinne gleicher Größe, was zu einer übermäßig konservativen oder risikoaversen Haltung führen kann. Beide Phänomene können zu suboptimalen Anlagestrategien führen, indem sie Investoren dazu verleiten, vom rationalen Pfad abzuweichen. Forschungen, unter anderem von Kahneman und Tversky, haben diese Verhaltensweisen eingehend untersucht und gezeigt, wie wichtig das Verständnis dieser psychologischen Faktoren für das Management von Investitionsportfolios und die Entwicklung effektiverer Anlagestrategien ist.
LOSS AVERSION Das Verhalten, Gewinne zu schnell mitnehmen zu wollen, wird in der Behavioral Finance oft als „Verlustaversion“ beschrieben, obwohl es paradox erscheinen mag. Verlustaversion betont die Tendenz, Verluste stärker zu vermeiden als äquivalente Gewinne zu suchen. Ein spezifischerer Begriff dafür könnte „Realisationsneigung“ sein, der die Neigung beschreibt, Gewinne frühzeitig zu realisieren, um das Erfolgserlebnis zu sichern, während Verluste in der Hoffnung gehalten werden, dass sie sich umkehren. Dieses Verhalten steht im Widerspruch zur rationalen Anlagestrategie, die eine gleichmäßigere Bewertung von Gewinnen und Verlusten nahelegt.
Erstellt mit freundlicher Unterstützung von ChatGPT 4.0
Fazit: Die Kunst der Interpretation
Die Kunst der technischen Marktanalyse liegt nicht nur im Verständnis der Zahlen und Muster, sondern auch in der Fähigkeit, die zugrundeliegenden menschlichen Emotionen und Verhaltensweisen zu interpretieren. Durch die Analyse aktueller Chartmuster im DAX-Index und die Anwendung von Prinzipien der Behavioral Finance können Anleger ein tiefgreifenderes Verständnis für die Marktdynamik entwickeln und damit gleichermaßen auch deren Komplexität und vermeintliche Widersprüchlichkeit entdecken. Die Strategie, bei Stärke zu kaufen, und die Interpretation der sich öffnenden Wedge-Formation sollten hier exemplarisch angeführt werden. Die „Navigation im wilden Meer der Börse muss jeder Kapitän“ selbst vollziehen – und sei es indem er sich aktuell die Frage stellt: sind die aktuellen Schlusskurse im DAX oberhalb der jüngsten Höchststände nun ein Kaufsignal oder sind wir „in der expanding Wedge“?
viel Erfolg ……
Über den Autor:
(Udo A. Schacht) /Rockstratege.com
Baujahr 1966 und nach 35 Berufsjahren im Internationalen Finanzgeschäft (Banken & Börsen) nun seit Anfang 2021 damit beschäftigt, meine Euphorie und Motivation über das Börsen- geschehen weiterzugeben. Fundiert, verständlich, mit Spaß und dem Quäntchen Erfahrung. Und niemals vergessen ( mein Motto )
Das LÄCHELN niemals vergessen! Bevor wir den Handelstag starten.
Zwischen FOMO und Vorsicht: Navigieren im Spannungsfeld der technischen Marktanalyse
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